|Rezension| Zeit ihres Lebens – Dirk Gieselmann

von | Nov. 9, 2025 | 0 Kommentare

Ein perfekter Roman für den Herbst!

Verlag: Ullstein
Gebundene Ausgabe: 22,99 Euro
Ebook: 18,99 Euro
Erscheinungsdatum: 31.07.2025
Seiten: 224

„Man ist nie nur der Mensch, der man jetzt gerade ist, man ist auch immer der, der man mal war, und sogar der, der man nie sein konnte. Nichts geht je vorbei, nicht mal das Ungeschehene(…)“ (S.23)

Inhalt

Die Liebe adelt jedes Leben. Auch jenes von Frieda und Georg, zwei Menschen, die sie nicht gesucht haben, aber von ihr gefunden wurden. Frieda ist Grundschullehrerin, Georg Vertreter für medizinische Geräte. Als sie sich das erste Mal unverhofft begegnen, ist Georg sich sicher: Diese unbekannte Schöne ist seine große Liebe – und nicht die Frau, die er auf seinen Handelsreisen jeden Abend pflichtschuldig anruft. Und auch Frieda kann sich den groß gewachsenen Mann nicht aus dem Kopf schlagen. Als sie einander nach fieberhafter Suche schließlich wiederfinden, unterbreitet Frieda Georg ihren Plan: Sie können zusammen sein – in einem Leben außerhalb des Lebens, in dem einzig die Gegenwart herrscht, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Nicht nur, um unentdeckt zu bleiben, sondern auch, um ihre Liebe so rein und schön zu halten wie im ersten Moment. Nur so, sagt sie, sei es möglich. Georg willigt ein, und ihre Geschichte beginnt. 

Mein Eindruck

Ich hätte mir keine bessere Jahreszeit als den Herbst vorstellen können, um diesen Roman zu lesen. Er passt einfach zur Stimmung dieser Tage: ein bisschen schwer, ein bisschen leuchtend. Die Sprache erinnert an etwas, das vergeht und trotzdem noch einmal aufscheint, bevor es verschwindet. Der Roman ist melancholisch, aber nicht hoffnungslos. Die Vergänglichkeit ist allgegenwärtig, aber Dirk Gieselmann verliert sich nicht darin. Er ist wie ein letzter warmer Tag, an dem man schon spürt, dass der Winter kommt und gerade deshalb bewusster hinschaut. 

Die Sprache war für mich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, weil sie im ersten Moment altmodisch wirkt. Doch bald merkt man, dass sie einfach zeitlos ist. Gieselmann schreibt poetisch, ruhig und präzise, ohne Schnörkel und ohne moderne Floskeln. Mit wenigen, treffenden Worten kann er Stimmungen verdichten und Gefühle andeuten, ohne sie auszuformulieren.

Ich kenne viele Geschichten vom Anfang oder Ende einer Liebe. Aber es gibt nur wenige Romane, die vom Dazwischen erzählen. “Zeit ihres Lebens” spannt den Bogen über mehrere Jahrzehnte, von den 1980ern bis in die 2010er Jahre. Es ist die Geschichte einer besonderen Liebe zweier einfacher Menschen, einer Liebe, die nur im Verborgenen existiert. Gieselmann zeigt nachvollziehbar, wie Einsamkeit und Nähe nebeneinander existieren können. Georg und Frieda begegnen sich nur selten – viermal im Jahr für ein paar Tage – und gerade dadurch entsteht eine besondere Intensität. Die Geschichte wird aus beiden Perspektiven erzählt – wir sehen sowohl Friedas als auch Georgs Leben, miteinander und ohne einander. Und irgendwann stellt sich die Frage: War ihre Liebe so beständig, weil sie nie im Alltag bestehen musste? Haben sie etwas versäumt oder war genau diese Begrenzung das, was sie besonders machte?

Was Gieselmann kaum thematisiert, ist die Tatsache, dass Georg seine Frau mit Frieda betrügt oder dass Frieda Zeit ihres Lebens für ihr Umfeld eine alleinstehende Frau bleibt. Sein Fokus liegt ganz auf der Beziehung der beiden, nicht auf dem moralischen Urteil oder dem Drumherum.

Zum Ende hin wird der Ton noch leiser und melancholischer, aber das passt. Alles andere hätte die Geschichte ins Kitschige abdriften lassen.

Mein Fazit:

Kann eine Liebe bestehen, die nur im Verborgenen, nur als Geheimnis existiert? Oder gedeiht sie gerade, weil sie nicht vom Alltag eingegraut wird? Dirk Gieselmann hat einen schönen, melancholischen Liebesroman geschrieben: leicht zu lesen, lange zu bedenken und sehr zu empfehlen.

 
Vielen Dank an Netgalley für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
Share This