|Rezension| Die Unbußfertigen – Elina Penner
Digitaler Spiegel, scharf geschliffen: Die Unbußfertigen
„Die Vergänglichkeit, die eigene Sterblichkeit, das eigene Ende hatte kein Mensch mit Mitte 20 im Kopf. Aber mit Ende 30? Es wurde greifbarer, dank Fehlgeburten, toten Eltern, längst beerdigten Großeltern und den ersten Freundinnen mit einer Krebsdiagnose. Zwischen schlaflosen Nächten, eingefrorenen Eizellen, tobenden Kleinkindern in der Autonomiephase und bockigen Grundschulkindern, die es trotz Mozart im Bauch und Holzspielzeug im Kinderzimmer nicht geschissen kriegten, ein Buch zu lesen.“ (S.55)
Inhalt
Zehn Menschen, wie sie das Netz hervorgebracht hat, folgen einer Einladung in ein abgelegenes Herrenhaus. Ein Event? Auf jeden Fall, nur ohne Empfang. Darunter eine Mutter, die ihre Kinder zur Marke gemacht hat. Eine Busfahrerin zwischen Heilstein und Hassrede. Eine Influencerin mit dem berühmtesten Arsch des Landes. Drei Frauen mit Followerzahlen wie Aktienkurse. Sieben Männer im Kommentarbereich. Doch plötzlich ist alles real. Offline. Immer mehr von ihnen verschwinden. Und jemand sieht zu.
Mein Eindruck
Ich sage es, wie es ist: Ich liebe alles an diesem Roman! “Die Unbußfertigen” kommt mit einem Tempo daher, das einen sofort mitreißt, und mit einem Ton, der angenehm schnoddrig, scharf und dabei erstaunlich präzise ist. Elina Penner hat ein Gespür für Dialoge, die nicht nur klug klingen, sondern etwas auslösen: lebendig, intelligent, manchmal messerscharf.
Worum es geht? Um nichts weniger als unseren Umgang mit dem digitalen Raum. Penner stellt eine Gruppe zusammen, die symptomatisch für unsere Gegenwart ist: Drei Influencerinnen und sieben ihrer Kommentatoren erhalten eine geheimnisvolle Einladung eines Social Media Kanals und landen in einer abgelegenen Villa. Besonders reizvoll ist die Art, wie der Roman die Dynamiken zwischen den Frauen und den Männern ausleuchtet. Alle haben Dreck am Stecken: die eine vermarktet ihre Kinder im Internet, der nächste zerstört Existenzen mit spitzen Kritiken, der andre entlädt seinen Frauenhass Tag für Tag in den Kommentarspalten. Hier entsteht ein Setting, das gleichzeitig unterhält und unangenehm vertraut wirkt. Penner hält uns den Spiegel hin: humorvoll, aber ohne dabei die Ernsthaftigkeit des Themas zu gefährden.
Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto deutlicher zeigt sich, wie gut Penners Form diesen Inhalt trägt. Der Roman liest sich nicht wie eine theoretische Abhandlung über digitale Kultur, sondern wie ein Raum, in dem all das, was wir online wegwischen oder ignorieren, plötzlich vor uns steht. Direkt, unverblümt und schwer auszuweichen. Genau daraus bezieht das Buch seine Sogwirkung: Es zwingt uns, hinzuschauen, ohne je belehrend zu werden.
Diese erzählerische Klarheit setzt sich auch sprachlich fort. Penner schreibt mit einer Raffinesse, die dafür sorgt, dass jede Beobachtung sitzt und keine Pointe zufällig wirkt. Für mich steht deshalb fest: Dieses Buch ist eines meiner Jahres-Highlights, auch wenn ich mir vom Ende ein wenig mehr Konsequenz bzw. Wucht erhofft hätte – gerade weil der Roman zuvor so kraftvoll erzählt.
Und wer sich – wie ich – fragt, warum der Titel so ungewöhnlich ist, bekommt im Roman selbst eine ebenso schlüssige wie überraschende Antwort. Sie fügt sich so elegant in die Gesamtkomposition ein, dass man rückblickend merkt, wie sorgfältig alles miteinander verwoben ist.
Ist “”Die Unbußfertigen” Satire? Vielleicht streift es diesen Bereich. Aber letztlich ist es vor allem eine zugespitzte, erschreckend plausible Variante unserer digitalen Wirklichkeit.
Mein Fazit:
Wer Unterhaltung sucht, die Spaß macht, Tempo hat und gleichzeitig einen kritisch geschärften Blick auf unsere Gegenwart wirft, ist mit diesem Roman bestens beraten. Elina Penner verbindet Witz, Beobachtungsgabe und erzählerischen Mut zu einer Geschichte, die nicht nur unterhält, sondern auch noch nach dem Zuschlagen des Buches nachhallt. “Die Unbußfertigen” zeigt auf beängstigende Weise, wie nah Fiktion und Realität inzwischen beieinanderliegen können.