|Rezension| Fake – Frank Rudkoffsky

von | Nov 24, 2019 | 0 Kommentare

Über Fakes im Internet und Realitäten des Elternseins 

Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 11,99 Euro
Erscheinungsdatum: 30.08.2019
Seiten: 240

„’Danke, ich brauche nichts.” sagte ich und log. Und ob ich etwas brauchte. Einen Gin Tonic und eine Zigarette zum Beispiel, einen Halbmarathon und eine Auszeit. Einen guten Fick oder wenigstens Lust auf einen. Schlaf. Ein Around-the-world-Ticket, das ich auf halbem Weg verfallen lassen würde. Ein bisschen von dem großen Glück, zu dem mir alle andauernd gratulierten. Ein zufriedenes Baby. Das Gefühl, nicht zu versagen.“ (S.12)

Inhalt

Sophia und Jan sind jung und einigermaßen glücklich: Sie klettert steil die Karriereleiter bei Daimler hoch, er versucht sich als Journalist bei der Lokalzeitung. Dann bekommen sie ein Baby. Sie bleibt zu Hause und hütet das Kind, er kämpft um eine Festeinstellung in der Redaktion. Während Jan sich zunehmend exzessiv beim Joggen abreagiert, und das Baby einfach nicht aufhört zu schreien, gerät Sophia in einen immer größeren Taumel aus Frustration und Hilflosigkeit. Bis sie schließlich ein Ventil für ihren Frust findet: das Internet! Hier entlädt die ach so korrekte Vorzeigefrau alle Wut, und beleidigt im stillen Kämmerchen schamlos drauf los. Was sie nicht ahnt: Auch Jan hütet ein großes Geheimnis und fürchtet um seine Karriere. Sein größter journalistischer Erfolg basiert auf einer Lüge, die nun im Netz aufgedeckt zu werden droht. Beide verlieren unter dem Druck, sich zugleich im Job und Familie beweisen zu müssen, ihren moralischen Kompass. Ihre Lügen haben jedoch mehr miteinander zu tun, als sie denken…

Mein Eindruck

Frank Rudkoffsky hatte mich bereits mit der ersten Seite seines Romans “Fake” sowas von in der Hand. Der Humor – genau meins. Das Thema – genau meins. Die Sprache – genau meins. Da hätte schon sehr viel schief laufen müssen, um den ersten positiven Eindruck zu zerstören. Ich kann vorweg nehmen: Das ist nicht passiert. “Fake” hat mich nicht nur durch seine brandaktuelle Thematik, sondern vor allem durch sein authentisches Bild junger Eltern bzw. speziell junger Mütter vollends überzeugt. 

Mit klaren Worten beschreibt Rudkoffsky ungeschönt den Alltag eines jungen Paares, das nicht nur mit einem Schrei-Baby zurechtkommen muss, sondern auch seine Beziehung völlig neu definieren. Schnell wird Sophia und Jan klar, dass sie mit einem Baby nicht beide gleichermaßen Karriere machen können. Rollen müssen neu definiert werden, Frustrationen entstehen, über die innerhalb der Beziehung aber nicht gesprochen wird. So wird der Graben zwischen Beiden immer tiefer und jeder sucht für sich nach einer Exit-Strategie zur Stressbewältigung. 

Wer keine Kinder hat, aber plant, evtl. noch welche zu bekommen, sollte diesen Roman vielleicht lieber nicht lesen, denn er könnte durchaus eine abschreckende Wirkung haben. Ich würde jetzt gern beschwichtigend behaupten, dass Rudkoffskys Schilderungen übertrieben dargestellt und literarisch aufgebauscht sind, aber leider sind sie verdammt nah dran an der Realität, die auch ich in den ersten Monaten mit Kind(ern) erlebt habe. Vielleicht sollte man aber auch gerade deshalb dieses Buch allen werdenden Eltern schenken. Dann sind sie schon mal auf den worst case vorbereitet und können sich im Vorfeld andere Exit-Strategien suchen als jene, die von den Protagonisten in diesem Roman gewählt wird. Beide nutzen einen “Fake” im Internet als Ventil für den Frust Zuhause, nur jeder auf eine andere Art und ohne den anderen miteinzubeziehen. Spannend ist hierbei wie der Autor uns zu einem Perspektivenwechsel zwingt, indem er uns beispielhaft hinter die Kulissen von Fake-Accounts und Fake-Geschichten im Internet schauen lässt. Damit greift er eine extrem brisante und brandaktuelle Thematik auf, die er mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, aber ohne die Tatsachen zu verharmlosen, anpackt. 

Wie geschickt Rudkoffsky außerdem die Abwärtsspiralen beider Protagonisten durch wechselnde Perspektiven miteinander verknüpft, ließ mich förmlich an den Seiten kleben. Die 240 Seiten lassen sich aufgrund des originellen und spannenden Plots locker am Stück lesen. Man fiebert zwangsläufig mit, ob alles in einer großen Katastrophe endet oder die beiden wieder zusammenfinden.

Ich habe beim Lesen von “Fake” sehr viel gelacht: teils wirklich amüsiert (wie auf Seite 1), teils aber auch bitter (wie im obigen Zitat), weil der Autor sehr oft den Nagel auf den Kopf trifft. Besonders beeindruckt haben mich die meines Erachtens sehr authentischen Empfindungen der jungen Mutter, die einerseits mit Selbstzweifeln und Überforderung kämpft, andererseits mit der Aufgabe ihrer beruflichen Selbstverwirklichung hadert. Hier hat der Autor offensichtlich exzellent recherchiert.

Mein Fazit:

Das Herausragende an Frank Rudkoffskys „Fake“ ist das Gegenteil des Titels: die Authentizität dieses Romans. Die Geschichte über ein junges Paar, dass als Konsequenz von Frustration, Hilflosigkeit und Überforderung im Internet Unwahrheiten und Hass verbreitet ohne das der jeweils andere etwas davon ahnt, hat durch ihr höchst brisantes und topaktuelles Thema allein schon großes Potential einen Platz auf der Bestsellerliste zu erringen. Wie Rudkoffsky dieses Thema aber sprachlich überzeugend und immer on point umsetzt, ist definitiv auszeichnungswürdig.

 
Vielen Dank an Voland & Quist für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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