|Rezension| Geordnete Verhältnisse – Lana Lux

von | Apr 5, 2024 | 0 Kommentare

Eine erschütternde Geschichte großartig erzählt!

Gebundene Ausgabe: 23,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 19.02.2024
Seiten: 288

„Diese Bibliothek war mein Safe Space, lange bevor ich das Wort Safe Space kannte. Hier war die Welt in Ordnung. Anders als zu Hause durfte ich hier lesen, was ich wollte, ansehen, was ich wollte, denken, was ich wollte, sitzen, wie ich wollte, und sogar an den Nägeln kauen.“ (S.102)

Inhalt

Er sagt, sie sagt – Lana Lux zeigt zwei Seiten einer modernen Tragödie.
»Eine unerhörte Geschichte! Jeder Satz ist eine mit Schmerz und Lachgas gefüllte Pistolenkugel.« (Daniela Dröscher)

Wenn man seine Heimat verlassen muss, kommt es immer darauf an, wo man landet und welche Leute man kennenlernt. Faina landet in einer deutschen Kleinstadt und lernt in der Schule Philipp kennen, einen Jungen mit Wutausbrüchen, der Pflanzen lieber mag als Menschen, sich aber sehnlichst einen Freund wünscht. Faina soll dieser Freund werden, also bringt er ihr Deutsch bei, und wie man Weihnachten richtig feiert. Er macht sie zu seiner Faina. Jahre später ist Philipp der Typ mit Eigentumswohnung und fester Freundin, und Faina steht als verlassene, verschuldete Schwangere vor seiner Tür. Er lässt sie hinein, doch zu welchem Preis? “Geordnete Verhältnisse” ist eine Geschichte über Wut und Obsession – und eine Frau, die sich weigert, zum Besitztum eines Mannes zu werden.

Mein Eindruck

Dies ist wieder mal eines der Bücher, bei denen ich am liebsten nur schreiben würde: Lest es! Es ist krass gut.

Ich weiß schon: Ein paar Argumente für diese Behauptung wären hilfreich. Fangen wir also beim ersten Satz des Buches an: “Als ich am 3.März 1996 zehn Kerzen auf meiner halb gefrorenen Coppenrath & Wiese-Geburtstagstorte auspustete, wünschte ich mir einen besten Freund.” In diesem ersten Satz steckt so viel Traurigkeit. Er ist sinnbildlich für den Roman. Präzise und schnörkellos formuliert, lässt er aber viel Raum für Deutungen. Dies ist Lana Lux großes Talent. Sie formuliert sehr klar, nimmt kein Blatt vor den Mund und geht dabei nicht selten bis an die Grenze des Erträglichen. Davon profitiert ihre Geschichte über eine Kinderfreundschaft hin zu einer extrem toxischen Beziehung. Das Ende ist bereits vorgegeben. Lena Lux erzählt in „Geordnete Verhältnisse“ wie es soweit kommen konnte. Dabei gibt sie beiden handelnden Personen – Faina und Philipp – eine Stimme. Die Kapitel sind immer mit deren jeweiligen Namen überschrieben, so dass klar ist, aus wessen Perspektive gerade erzählt wird.

Beide lernen sich als Kinder kennen: Er, der Sohn, der einige Jahre bei seiner Tante aufwächst, weil die Mutter Alkoholikerin ist. Sie, das Migrantenkind, das kein Deutsch spricht. Ihre Außenseiter-Rolle hat die beiden zusammengeschweißt. Die Freundschaft hält bis ins Erwachsenenalter, auch wenn beide sehr spezielle Eigenheiten haben und dadurch öfter aneinandergeraten. Nach einem Streit bricht der Kontakt für mehrere Jahre ab, bis Faina in einer Notlage wieder vor Philipps Tür steht, die er ihr bereitwillig öffnet. Was Phillip Faina gegenüber als Liebe und Seelenverwandtschaft bezeichnet, sind in Wirklichkeit pure Manipulation und Kontrollwahn. Er genießt es, wenn es ihr schlecht geht und sie seine Hilfe bereitwillig annimmt. Sobald es ihr besser geht und sie wieder selbstständig handelt, rastet er aus. Man ahnt die ganze Zeit, dass die Abwärtsspirale ein drastisches Ende nimmt und doch will man es nicht wahr haben, 
Lana Lux’ zieht einen mit ihrer präzisen Erzählkunst immer tiefer rein in das Elend. Es ist auch kein pures an den Pranger stellen von toxische Männlichkeit. Vielmehr schildert sie auf welche subtile Art häusliche Gewalt entstehen kann, wie schnell die Grenzen von Fürsorge und Kontrolle verschwimmen.
Vor allem im letzten Drittel des Romans habe ich beinahe atemlos die Seiten umgeblättert, wollte Faina rütteln und warnen, sie möge weglaufen, obgleich ich mir im Klaren darüber war, dass dies wohl auch in der Realität nicht viel bewirken würde.
Lana Lux stellt in „Geordnete Verhältnisse“ auf sehr eindrucksvolle und wertfreie Weise dar, wie Frauen, Opfer häuslicher Gewalt werden und bleiben. Am Beispiel von Faina und Phillip beschreibt sie präzise wie schwierig es für Frauen ist, sich aus einem Abhängigkeitsverhältnis zu lösen und wie schwer unsere Vergangenheit bei all dem wiegt. 
Trotz der beklemmenden Thematik kommt aber auch der Humor in dieser Geschichte nicht zu kurz. Es ist beeindruckend wie der Autorin hier der Spagat gelingt, die Leserschaft einerseits zu unterhalten, andererseits gehörig zu verstören. 

 

Mein Fazit:

Das beklemmende Thema, die intensive Atmosphäre und die brillante Sprache machen “Geordnete Verhältnisse” zu einem fesselnden Roman, der sowohl erschreckt als auch berührt. Dies war mein erster Roman der Autorin und ich weiß gar nicht, wie mir ihre bisherigen Werke entgehen konnten. “Kukolka” und “Jägerin und Sammlerin” werden umgehend in meinen Besitz übergehen. So viel ist sicher! 

 
Vielen Dank an Hanser Berlin für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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