|Rezension| Schöne Welt, wo bist du – Sally Rooney
Das Besondere liegt im Gewöhnlichen
„Vermutlich fühlt sich erinnertes Leid niemals so furchtbar wie aktuelles Leid an, selbst wenn es in Wirklichkeit viel schlimmer war – wir können uns nicht daran erinnern, wie schlimm es war, weil Erinnern immer schwächer ist als Erleben.“ (S.47)
Inhalt
Alice trifft Felix. Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, er arbeitet entfremdet in einer Lagerhalle. Sie begehren einander, doch können sie einander auch trauen? Alice’ beste Freundin Eileen hat eine schmerzvolle Trennung hinter sich und fühlt sich aufs Neue zu Simon hingezogen, mit dem sie seit ihrer Kindheit eng verbunden ist. Sie lieben sich, doch ist der Versuch der Liebe den möglichen Verlust ihrer Freundschaft wert?
Zwischen Dublin und einem kleinen Ort an der irischen Küste entfaltet Sally Rooney eine Geschichte von vier jungen Menschen, die sich nahe sind, die einander verletzen, die sich austauschen: über Sex, über Ungleichheit und was sie mit Beziehungen macht, über die Welt, in der sie leben. Schöne Welt, wo bist du ist eine universelle Geschichte über den Raum zwischen Alleinsein und Einsamkeit und über die Freiheit, sein Leben mit anderen zu teilen – überwältigend klug, voller Klarheit und Trost.
Mein Eindruck
Ich habe bereits die ersten beide Romane von Sally Rooney gelesen und sehr gemocht. Deshalb konnte ich mir auch “Schöne Welt, wo bist du?” nicht entgehen lassen. Wie in “Normale Menschen” und in “Gespräche mit Freunden” geht es auch dieses Mal wieder um Liebe und die Beziehungen zwischen vier Menschen, allerdings mit dem Fokus auf der Freundschaft zwischen zwei Frauen: Eileen und Alice. Beide schreiben sich lange E-Mails, die die Rahmenhandlung des Romans bilden. In diesen E-Mails schreiben sie nicht nur über ihre Freundschaft und Liebesirrungen und -wirrungen, sondern auch ausführlich über philosophische und politische Themen. Beide arbeiten im Literaturbereich: die eine für ein Literaturmagazin, die andere als Schriftstellerin. Ihre Anschauungen unterscheiden sich oft, so dass ein reger Austausch von Positionen zustande kommt, dem ich mit großem Interesse gefolgt bin.
Zugegeben: Noch spannender fand ich die Darstellung der Beziehungen der vier Personen untereinander: Letztlich sind es gewöhnliche Menschen mit gewöhnlichen Problemen. Wie realistisch Sally Rooney von ihren Problemen erzählt, ist die große Stärke der Autorin, die sie bereits in ihren Vorgängerromanen unter Beweis gestellt hat. Analytisch und mit einnehmender Ehrlichkeit schildert sie die Probleme von klugen, erfolgreichen Frauen, die Beziehungen weit weg von der “Norm” führt, die Feministinnen sind, aber devote Sexphantasien haben, die sich ständig hinterfragen, mit einer Melancholie behaftet ist, die sich schwer fassen lässt und bei denen letztlich doch immer wieder ein Thema im Mittelpunkt steht: die Liebe und ihre Bedeutung für das eigene Glück.
Ich mag wie realistisch Sally Rooney ihre Geschichten erzählt. Auch wenn sich die Handlung dadurch manchmal etwas zieht, verleiht gerade dieser feinsinnige Blick auf die kleinen Nuancen des Lebens und Liebens diesem Roman seinen besonderen Reiz. Die Längen in der Mitte werden durch ein gelungenes Ende wieder wett gemacht – der Leser bzw. die Leserin wird für’s Durchhalten belohnt.
An den Schreibstil der Autorin muss man sich gewöhnen. Sie verzichtet auf das Kenntlichmachen von wörtlicher Rede, was den Lesefluss zu Beginn etwas stört. Aber ich gewöhnte mich recht schnell daran, zumal ihre schöne Sprache und ihre klugen Gedanken gut von dieser Formalität ablenken.
Mein Fazit:
In “Schöne Welt, wo bist du” überzeugt Sally Rooney mit ihrem feinen Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Für eine Generation, die von Selbstzweifeln geprägt nach Liebe sucht, bietet dieser Roman ein hohes Identifikationspotenzial mit Figuren, die die schöne Welt vermissen und auf der Suche nach ihr, ins Straucheln kommen. Sally Rooney fängt auf sensible und unterhaltsame Weise den Zeitgeist ein. Klare Leseempfehlung für Menschen, die einen intelligenten Roman über das Leben und die Liebe lesen wollen.