|Rezension| Gespräche mit Freunden – Sally Rooney
Ein feinsinniger Blick auf moderne Beziehungen
„Ich liebte es, wenn er für mich auf diese Weise verfügbar war, wenn unsere Beziehung wie ein Word-Dokument war, das wir zusammen schrieben und bearbeiteten, oder wie ein Insiderwitz, den niemand außer uns verstehen konnte.“ (S. 222)
Inhalt
Frances und ihre Freundin Bobbi, Studentinnen in Dublin, lernen das gut zehn Jahre ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen. Sie treffen sich bei Events, zum Essen, führen Gespräche. Persönlich und online diskutieren sie über Sex und Freundschaft, Kunst und Literatur, Politik und Genderfragen und, natürlich, über sich selbst. Während Bobbi von Melissa fasziniert ist, fühlt sich Frances immer stärker zu Nick hingezogen … Ein intensiver Roman über Intimität, Untreue und die Möglichkeit der Liebe, eine hinreißende, kluge Antwort auf die Frage, wie es ist, heute jung und weiblich zu sein.
Mein Eindruck
Als ich “Gespräche mit Freunden” zu Ende gelesen hatte, habe ich mir einige Rezensionen zum Buch beim großen A… angesehen. Die ersten sieben Rezensent*innen verwendeten in Bezug auf diesen Roman Worte wie “trivial”, “fad”, “banal” und “langweilig”. Ich war ehrlich irritiert, fast schon erbost. Haben diese Menschen das gleiche Buch gelesen wie ich?
Wenn “Gespräche mit Freunden” etwas nicht ist, dann trivial, banal, fad und langweilig. Zu Beginn kann der Eindruck entstehen, dass dies eine “mènage á quatro” Story wird, die sich hauptsächlich um Sex dreht. Wenn man aus diesem Grund das Buch abbricht, entgeht einem leider der Kern der Geschichte, der sich vielmehr um die Vielschichtigkeit von Beziehungen und Gefühlen dreht.
Sally Rooney hat ein beeindruckendes Gespür für Zwischenmenschliches und zeigt in ihrem Debütroman, dass es weit mehr gibt als die klassische Paarbeziehung zwischen Mann und Frau, die durch eine Ehe, Haus, Garten und Kind besiegelt wird. Sie lotet die Grenzen verschiedener Beziehungsmodelle aus, indem sie dem Leser in verschiedene Beziehungen eintauchen lässt, allerdings durch die Perspektive der 21-jährigen Frances. Frances lernt zusammen mit ihres besten Freundin Bobbi, die zugleich ihre Ex-Freundin ist, ein ca. 10 Jahre älteres Ehepaar kennen: Melissa ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, Nick ein gutaussehender, mittelmäßig erfolgreicher Schauspieler. Während Bobbi rasch ein Auge auf Melissa wirft, fühlt Frances, die vorher noch nie eine heterosexuelle Beziehung hatte, sich zu Nick hingezogen. Sally Rooneys scharfer Blick auf Frances sehr komplizierter Gefühlsleben, das nicht nur durch ihre Gefühle für Nick bestimmt wird, sondern ebenso durch die Beziehung zu ihren Eltern und zu Bobbi, durch ihre Kindheitserfahrungen, Existenzängste und Schicksalsschläge, hat mich unheimlich fasziniert. Exemplarisch zeigt sie an dieser Figur, wie kompliziert das Leben ist und dass es nicht immer nur Schwarz und Weiß gibt. Sie gibt Frances widersprüchlichen Empfindungen Raum und ergänzt ihre inneren Monologe durch pointierte und spannende Dialoge zwischen den vier Figuren. Außerdem werden Themen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit angesprochen, die in der Belletristik eher selten behandelt werden, z.B. Homosexualität, Selbstverletzung und Endometriose. Dadurch wirkt die Story bodenständig und authentisch.
Das Konzept “Liebesbeziehung” wird in „Gespräche mit Freunden“ auf seine Tauglichkeit geprüft und von seinen traditionellen Wurzeln gelöst. Polyamore Strukturen scheinen möglich zu sein – im Einverständnis aller. Aber bald zeigt sich, dass das, was allen zunächst als erstrebenswert galt, die Beteiligten an ihre Grenzen führt. Wie sieht sie also aus, die perfekte Beziehung? Werden Nick und Frances ein Paar oder bleibt er mit Melissa verheiratet? Welche Rolle spielt Bobbi in dem Konstrukt? Mit diesen Fragen im Kopf rauscht man förmlich durch den Roman und wird durch manche Wendung überrascht.
Für mich ist “Gespräche mit Freunden” die perfekte Symbiose aus spannender, authentischer, moderner Story und pointierter, soghafter Sprache.
Mein Fazit:
“Gespräche mit Freunden” ist ein moderner Roman über moderne Beziehungsformen, der mich durch vielschichtige Charaktere, einen fesselnden Erzählstil und einen feinsinnigen Blick auf Themen, die sonst in der Literatur eher im Verborgenen bleiben, vollkommen überzeugt hat. Ich war schon nach “Normale Menschen” ein Sally Rooney-Fan, aber nach der Lektüre von “Gespräche mit Freunden” ist sie definitiv in den Olymp meiner “all time favorites” aufgestiegen. Ich kann ihren nächsten Roman kaum erwarten.