|Rezension| Auf allen vieren – Miranda July

von | Jan. 31, 2025 | 0 Kommentare

Krass!

Originaltitel: All Fours
Übersetzung: Stefanie Jacobs
Gebundene Ausgabe: 25,00 Euro
Ebook: 22,99 Euro
Erscheinungsdatum: 14.05.2024
Seiten: 416

„Wir würden unsere Sehnsüchte und unsere stille Wut unterdrücken, bis sie unmerklich in unsere Kinder hineinsickerte, und die würden das so an uns hassen, dass sie es selbst ganz anders machen wollten. So funktionieren die meisten Veränderungen, nicht innerhalb eines Lebens, sondern über Generationen hinweg.“ (S.274 f.)

Inhalt

Eine mittelmäßig bekannte Künstlerin schenkt sich selbst zum 45. Geburtstag einen Trip von der Westküste der USA nach New York. Sie möchte sich selbst etwas beweisen und plant die Tour alleine mit dem Auto, raus aus der Komfortzone. Nach zwei Wochen muss sie wieder zurück sein, bei Mann und Kind, aber vor allem, weil die größte lebende Popsängerin sie treffen möchte, um über ein gemeinsames Projekt zu sprechen. Doch weit soll sie nicht kommen. Wenige Kilometer von ihrem Vorstadthaus entfernt, verliebt sie sich vermeintlich in den Mann, der ihre Autoscheibe an der Tankstelle saubermacht, Davey. Sie mietet sich in einem billigen Motel ein, lässt ihr Zimmer von Daveys Frau völlig neu einrichten und imaginiert sich in ein anderes Leben hinein. 

Mein Eindruck

Wenn ich diesen Roman mit nur einem Wort beschreiben müsste, wäre es: krass. Ich weiß nicht, wie oft ich beim Lesen entweder „What?“, „Ach du Scheiße!“ oder „Echt jetzt?“ dachte. Ob das gut oder schlecht ist? Darauf kann ich keine eindeutige Antwort geben.

Schon die Leseprobe hatte mich so überzeugt, dass ich noch am selben Tag in die Buchhandlung ging, um das Buch zu kaufen. Der Klappentext ließ mich zunächst glauben, es gehe um eine Frau, die eine Auszeit vom Ehefrau- und Muttersein nimmt und deshalb die Flucht ergreift. Eine mir wahrscheinlich mein restliches Leben im Kopf bleibende Grafik im letzten Drittel des Romans macht deutlich, worum es in diesem Roman wirklich geht: Sie zeigt den Hormonspiegel von Männern und Frauen im Laufe des Lebens. Während Testosteron beim Mann nur langsam sinkt, fällt der Östrogenspiegel der Frau ab Mitte 40 abrupt ab – genau an diesem Punkt steht die Erzählerin. Die Begegnung mit einem fremden Mann ist die Initialzündung für die Erzählerin, sich neu mit ihrer Sexualität auseinanderzusetzen.

Miranda July verarbeitet in “Auf allen vieren” eine Flut an skurrilen Einfällen und bizarren Begebenheiten. Auch einige Fremdscham-Momente waren dabei – meistens auf körperlicher, manchmal aber auch auf emotionaler Ebene. Es ist ein Roman über eine unkonventionelle Form der Weiblichkeit und über Lust jenseits gesellschaftlicher Erwartungen. Dabei kombiniert Miranda July schonungslos explizite Schilderungen mit pointiertem Humor und absurden Situationen.

Allerdings geht die Handlung für meinen Geschmack oft so groteske Wege, dass die emotionale Glaubwürdigkeit leidet. Die Grenze zwischen Exzentrik und völliger Unwahrscheinlichkeit ist manchmal zu schmal gezogen, sodass man sich eher als Zuschauer eines inszenierten Spektakels fühlt, statt sich wirklich mit den Figuren verbunden zu fühlen. 

Auch hätte es meines Erachtens das non-binäre Kind der Protagonistin, das stets mit den entsprechenden Pronomen benannt wird, nicht für die Geschichte gebraucht – auch das wirkte auf mich zu sehr gewollt. 

Mein Fazit:

“Auf allen vieren” ist allein deshalb schon lesenswert, weil es sich ernsthaft einer Thematik widmet, die sonst eher humoristisch in der Literatur verarbeitet wird: den Wechseljahren. Insgesamt empfand ich den Roman originell, verstörend und faszinierend zugleich. Definitiv ein Buch, das lange nachhallt! 

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