|Rezension| Der Brand – Daniela Krien

von | Aug 2, 2021 | 0 Kommentare

“Der Brand” brennt sich ein – eines meiner Jahreshighlights!

Verlag: Diogenes
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 18,99 Euro
Erscheinungsdatum: 28.07.2021
Seiten: 272
Weitere Bücher der Autorin: Die Liebe im Ernstfall

„…und Rahel denkt, dass besonders in einer Ehe die Summe des Nichtgesagten die Summe des Gesagten bei weitem übertrifft.“ (S.71)

Inhalt

Rahel und Peter sind seit fast 30 Jahren verheiratet. Sie sind angekommen in ihrem Leben, sie schätzen und achten einander, haben zwei Kinder großgezogen. Erst leise und unbemerkt, dann mit einem großen Knall hat sich die Liebe aus ihrer Ehe verabschiedet. Ein Sommerurlaub soll bergen, was noch zwischen ihnen geblieben ist, und die Frage beantworten, wie und mit wem sie das Leben nach der Mitte verbringen wollen.

Mein Eindruck

“Der Brand” war für mich einer dieser Romane, auf den man sehnlichst wartet und den man dann doch nicht lesen will, wenn man ihn endlich in den Händen hält, weil man Angst vor einer Enttäuschung hat. Nachdem Daniela Kriens dritter Roman also eine gute Woche unberührt auf dem Nachttisch lag, habe ich es doch gewagt und wollte – ja, wie klischeehaft – “nur mal kurz reinlesen”. Nachdem ich dann etwa ein Viertel des Romans am Stück gelesen hatte, musste ich mich bewusst bremsen und das Buch zur Seite gelesen. Viel zu schnell wären die 272 Seiten, auf die ich zwei Jahre gewartet habe, sonst ausgelesen. Als ich das Buch zwei Tage später erneut in die Hand nahm, war es leider auch schon wieder vorbei mit der Selbstdisziplin. Ich las das Buch bis zum späten Abend fast zu Ende. Die letzten 15 Seiten hob ich mir dann doch noch für den nächsten Tag auf. 

Und nun ist es schon wieder vorbei. Ich habe Daniela Kriens Roman zu Ende gelesen, was mich froh und traurig zugleich macht: froh, weil die befürchtete Enttäuschung nicht eingetreten ist; traurig, weil ich nun wieder auf einen neuen Roman der Autorin warten muss und weil ich genau weiß, das alles, was ich danach lesen werde, nicht mit diesem Leseerlebnis mithalten werden kann.

Wieder einmal sind es Daniela Kriens leisen Töne, die mich begeistert haben und ihr Gespür für die Feinheiten in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Themen, die sie hier bearbeitet, sind nicht neu: Mutter-Tochter-Beziehungen, Eheprobleme, Untreue und Demenz, aber der Blick, den sie darauf wirft, ist in meinen Augen einzigartig. Mit präzisen Worten, ohne große Metaphern und ellenlange Abschweifungen erzählt sie die Geschichte von Rahel und Peter, eines sich fremd gewordenen Paares. Dabei sind es Sätze wie “Wie so viele bewertete auch diese junge Klientin alles mit dem Maßstab des Idealen anstatt des Realen. Die zwingende Folge ist das Scheitern”, die Situationen, die wohl jede*r von uns kennt, mit einer Treffsicherheit in Worte fassen, dass sie lange nachwirken. Ich mochte vor allem die Gedanken und Gespräche der Protagonisten, die nie künstlich wirkten und trotzdem (m)einem ästhetischen Anspruch gerecht wurden.

Der Roman liest sich leicht. Die ganze Geschichte spielt sich in einem dreiwöchigen Urlaub ab – jeder Tag ist ein Kapitel.  Gesellschaftlich relevante Themen wie die Corona-Pandemie, Shit-Storms in den sozialen Medien, die Gender-Debatte und die Klimakrise werden von Daniela Krien scheinbar mühelos in den Plot integriert, wodurch die Geschichte nicht losgelöst von der Wirklichkeit wirkt, sondern vielmehr als eine, die jetzt jedem und jeder von uns passieren könnte.  

Während in “Die Liebe im Ernstfall” verschiedene Frauen und ihre Lebensentwürfe im Mittelpunkt standen, ist es hier das Konstrukt “Familie”. Dabei wird nichts beschönigt, sondern gerade die schmerzhaften Momente zur Sprache gebracht. Vor allem die Entfremdung des Paares wird durch die Schilderung für sich allein stehend vermutlich unbedeutender Alltagsszenen, in Summe aber mit folgeschweren Auswirkungen, hervorragend beschrieben. Auch die Schuldgefühle und Versagensängste, die wohl die meisten Eltern plagen – egal, ob mit kleinen oder erwachsenen Kindern – werden in “Der Brand” authentisch thematisiert. Die Dynamiken innerhalb der Beziehungen (zwischen Rahel und Peter, zwischen Rahel und ihren Kindern und zwischen Rahel und ihrer Mutter) werden so intensiv beschrieben, dass man sich ihnen nicht entziehen kann und unbedingt wissen möchte, wie und ob sich die Spannungen auflösen. 

Am spannendsten fand ich die Figur der Rahel, die als Psychologin zwar viele Verhaltensmuster ihrer Familienmitglieder analysieren kann, mit ihren Erkenntnissen letztlich aber nichts anfangen kann, da es sich bei diesen Menschen nicht um ihre Patienten, sondern um ihre Familie handelt. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Bildhauer Viktor, der immer eine besondere Beziehung zu Rahel hatte und nun nach einem Schlaganfall in einer Klinik liegt. Über diese Figur verrät die Autorin gerade so viel, dass man neugierig wird und gerade so wenig, das man gezwungen wird, sich sein eigenes Bild von ihm zu machen. 

Was nach all der Begeisterung für diesen Roman am Ende noch übrig bleibt, ist die Frage nach dem Titel: Bezieht er sich wirklich auf das brennende Dresden im zweiten Weltkrieg und damit auf Erfahrungen der Herkunftsfamilien von Rahel und Peter? Ist die Herkunft der Beiden wirklich so entscheidend für ihr Verhalten und ihre Probleme miteinander? Oder habe ich etwas anderes übersehen, was den Titel “Der Brand” erklärt? Ich bitte um Aufklärung!

Mein Fazit:

Daniela Kriens dritter Roman ist eine Empfehlung für alle Leser*innen, die eine kluge, klare Sprache genauso zu schätzen wissen wie  ein feines Gespür für zwischenmenschliche Probleme. Mit seinem Setting auf einem Bauernhof an einem See in der ostdeutschen Provinz ist “Der Brand” durchaus als Sommerlektüre in einem Corona-Sommer geeignet, in dem Auslandsreisen und Beziehungen ohne Probleme eher die Ausnahme als die Regel sind. 

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.
 
 
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