|Rezension| Ein Festtag – Graham Swift
In der Kürze liegt die Würze
“Wir sind alle Brennstoff. Wir werden geboren, und wir brennen, manche schneller als andere. nd es gibt unterschiedliche Zündstoffe. Aber nicht zu brennen, nie zu entflammen, das wäre wahrhaftig ein trauriges Leben.” (S. 112)
Worum geht´s?
Sich dem Stoff des Lebens in die Arme zu werfen, das war der Sinn …
Jane, das junge Dienstmädchen von Beechwood, und Paul, der Spross aus begütertem Haus, haben ein Verhältnis. Heimliche Botschaften, verschwiegene Treffen, doch heute, an diesem sonnigen Märzsonntag 1924, darf Jane – Familie und Dienerschaft sind ausgeflogen – ihr Fahrrad einfach an die Hausmauer des Anwesens lehnen, durchs Hauptportal herein und ins Bett ihres Geliebten kommen. Ein erstes und ein letztes Mal, denn Paul wird bald – standesgemäß – heiraten. Später, gegen Mittag, wird sie leichtfüßig und nackt durch das weitläufige Haus streifen, beseelt von der rauschhaften Innigkeit dieses herausgehobenen Morgens und nicht ahnend, dass ihr Leben am Ende dieses Tages zu zerbrechen droht.
Viele Jahrzehnte später blickt sie zurück und erzählt: von einer Tragödie und zugleich einer wundersamen Entfaltung. Schwebend verschränkt Swift Gegenwart und Vergangenheit, erzählt fein und makellos von einem Leben, in dem alle Grenzen bedeutungslos wurden. Schillernd, unerhört und sinnlich.
Mein Eindruck
Stell dir vor, du liebst einen Menschen ohne Aussicht, jemals mit ihm oder ihr ein Paar zu werden. Stattdessen habt ihr seit Jahren eine Affäre, weil dieser Mensch verlobt ist und bald heiraten wird. Ihr könnt euch immer nur kurz und an geheimen Orten sehen bis sich kurz vor seiner oder ihrer Hochzeit, die Gelegenheit bietet, einen Tag zusammen zu verbringen, bei dem aber klar ist, dass es das letzte Wiedersehen sein wird. Wie würde es dir dabei gehen?
In dieser Situation befindet sich das Dienstmädchen Jane im Jahr 1924, als ihr Geliebter Paul sie bittet, am Muttertag – einem Tag, an dem alle Bediensteten frei haben, um ihr Mütter besuchen zu können, zu ihm nach Hause zu kommen, wo sie bisher noch nie war. Ihr ist klar, dass diese besondere Gelegenheit trauter Zweisamkeit zugleich die letzte sein wird, bevor Paul seine Verlobte heiratet und mit ihr nach London zieht.
Die Geschichte, die Graham Swift hier erzählt, scheint auf den ersten Blick trivial zu sein, aber die Art und Weise wie er sie erzählt, ist von der ersten bis zur letzten Seite beeindruckend. “Ein Festtag” ist das beste Beispiel dafür, dass ein guter Roman nicht immer ausschweifend lang sein muss, denn hier bieten sich dem Leser auf gerade einmal 150 Seiten so viel Tiefgang und Poesie wie es in 500 Seiten Romanen eher selten vorkommt.
Swift erzählt hier – galant wechselnd zwischen zwei Zeitebenen – aus Janes Sicht von diesem einen Festtag, der aus mehreren Gründen bedeutungsvoll für ihr weiteres Leben sein würde. Seine Erzählung ist dabei so atmosphärisch, dass man das Herrenhaus, in dem Jane nackt auf dem weißen Laken liegt und ihren Paul beim Anziehen beobachtet, direkt vor Augen hat. Die poetische, bildgewaltige Sprache gepaart mit einer latent erotischen Grundstimmung machen den “Festtag” zu einer Lesegenuss, den man so langsam wie einen guten Wein genießen sollte.
Weshalb ich dieses Büchlein außerdem noch besonders mag, ist die außergewöhnliche Protagonistin: Jane ist kein naives Dienstmädchen, dass sich völlig ihrer Schwärmerei hingibt. Sie ist klug, belesen und sich ihrer ausweglosen (Liebes-)Situation sehr wohl bewusst. Sie erzählt die Geschichte dieses besonderen Tages rückblickend als 90-jährige, erfolgreiche Schriftstellerin. Damit schafft Swift eine starke, bewundernswerte Protagonistin, die sich jeglichen Klischees widersetzt.
Das Gute an diesem Roman ist, dass er ganz ohne emotionale Gefühlsduseleien auskommt. Das Schlechte an diesem Roman ist, dass er ganz ohne emotionale Gefühlsduseleien auskommt. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich finde es großartig, dass sich “Ein Festtag” durch die besondere poetische Erzählweise von den üblichen “armes Mädchen liebt reichen Mann”-Geschichten abhebt, aber an mancher Stelle hätte ich mir doch ein paar mehr Emotionen gewünscht, um besser nachvollziehen zu können, was die beiden – außer Sex – eigentlich verbindet.
Mein Fazit:
“Ein Festtag” kommt mit seinem harmlosen Titel und seinem geringen Umfang so unscheinbar daher und haut den Leser dann durch seinen Tiefgang und die poetische Sprache um. Dieses Büchlein erinnert daran, dass das Leben vergänglich und schmerzhaft ist, dass große Gefühle auch großen Schmerz mit sich bringen können, aber die Alternative auf beides zu verzichten, eigentlich keine Alternative ist. Eine bewegende und sehr empfehlenswerte Lektüre!