|Rezension| Für Polina – Takis Würger
Viele Klaviere, zwei Leben und eine ewige Liebe

„Wenn sie gewusst hätten, wie kostbar diese letzten Tage der Unschuld waren, hätten sie sie schon nicht mehr ganz so schwerelos genießen können. Sie lebten in jedem Atemzug, ohne den Versuch, das Vergangene zu begreifen, und ohne die Sorge vor der Unendlichkeit der Möglichkeiten, die das Leben für sie im Köcher hielt.“ (S.53)
Inhalt
Als er vierzehn ist, verliebt sich Hannes Prager in das Mädchen Polina. Um ihr seine Liebe zu zeigen, komponiert der wundersam begabte Junge eine Melodie, die Polinas ganzes Sehnen und Wünschen umfasst. Doch sein Leben nimmt eine unvorhergesehene Wendung, Hannes hört auf, Klavier zu spielen und seine und Polinas Wege trennen sich. Nach Jahren, in denen er nichts als Leere fühlt, erkennt Hannes: Er muss Polina wiederfinden. Und das Einzige, womit er sie erreichen kann, ist ihre Melodie.
Mein Eindruck
Man muss es ja mal so klar sagen: Bücher aus dem Diogenes Verlag haben so eine spezielle Magie. Ich denke da vor allem an Benedict Wells, Daniela Krien, Joey Goebel oder Simone Lappert. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass Takis Würgers neuester Roman im Diogenes Verlag erschienen ist. Denn beim Lesen spürte ich es wieder: die Diogenes-Magie!
Aber von vorn: Ich hatte bisher nichts von Takis Würger gelesen, war aber schon neugierig auf den Roman bevor ich die Möglichkeit hatte, dem Autor bei einem Online-Bloggerevent zu lauschen. Hätte ich das Buch nicht schon vorbestellt gehabt, hätte ich das spätestens an diesem Abend nachgeholt, denn wie Takis Würger über seinen neuesten Roman, die Idee dahinter und sein Verständnis von Liebe sprach, hat mich komplett abgeholt. Die Vorzeichen waren also vielversprechend, aber noch längst kein Garant, dass mich auch die Geschichte abholt.
“Für Polina” ist eine melancholische Liebesgeschichte, die sich über drei Jahrzehnte erstreckt. Gleichzeitig ist es eine Coming-of-Age-Erzählung über Hannes Prager, einen schweigsamen, schüchternen Jungen mit außergewöhnlichem Talent am Klavier. Er wächst mit seiner Mutter Fritzi in einer alten Villa nahe Hannover auf und ist seit frühester Kindheit mit Polina befreundet, der Tochter von Fritzis bester Freundin. Fast genauso lange ist er heimlich in sie verliebt und komponiert sogar als Teenager eine eigene Melodie in ihrem Namen. Doch das Leben verläuft nicht geradlinig: Ihre Wege trennen sich immer wieder, kreuzen sich unter neuen Vorzeichen, doch die Umstände bleiben stets kompliziert.
Takis Würger erzählt diese Geschichte in einem ruhigen, klaren Stil – passend zur Persönlichkeit seines Protagonisten. Seine Sprache ist einfühlsam, doch niemals sentimental oder pathetisch. Er schafft es, große Emotionen mit einer wohltuenden Zurückhaltung zu vermitteln. Gleichzeitig lebt der Roman von seinen vielschichtigen, eindrücklichen Figuren, die trotz – oder gerade wegen – ihrer Makel zutiefst berühren. Jede einzelne von ihnen wächst einem ans Herz, weil sie mit all ihren Stärken und Schwächen so authentisch gezeichnet ist.
Begeistert hat mich auch, wie es dem Autor gelingt, Szenerien zu erschaffen, die sich einbrennen: Polina, die mit Hannes auf dem Klavierhocker sitzt, Hildebrand im Schuppen, Hannes allein in Istanbuls Straßen – ich sehe das alles auch jetzt – Tage nachdem ich das Buch beendet habe – klar vor mir.
Und dann dieses Ende. Ohne zu spoilern kann ich nur sagen: Es ist perfekt. Weder kitschig noch unrealistisch, weder übermäßig offen noch zu konstruiert. Genau so, wie es sein muss.
Mein Fazit:
“Für Polina” ist ein Roman, der von Sehnsüchten, Ängsten, verpassten Chancen und von der Kraft der Musik erzählt. Eine berührende, kunstvoll erzählte Geschichte mit leisen, aber tiefgehenden Emotionen. Sollte man diesen Roman lesen? “Hast du Tollkraut gegessen?”