|Rezension| Jedes Herz ist ein Puzzle aus Scherben – Genevieve Wheeler

von | Jan 22, 2024 | 0 Kommentare

Gute Unterhaltung mit kleinen Schwächen

Verlag: Rowohlt
Originaltitel: Adelaide
Übersetzung: Nora Petroll
Broschur: 16,00 Euro
Ebook: 12,99 Euro
Erscheinungsdatum: 15.08.2023
Seiten: 400

„Sie brauchte mehr Bücher, dachte sie. Und sie brauchte mehr glückliche Erinnerungen.“ (S.293)

Inhalt

Adelaide Williams lebt den Traum der tausend Möglichkeiten: Sie macht die Londoner Pubszene unsicher, versucht, ihren Master abzuschließen und einen Job zu ergattern, der nicht aus unterbezahlten Überstunden im PR-Bereich besteht. Und sie verliebt sich. In den umwerfenden Rory Hughes, immer einen Schritt außer Reichweite. Aber Adelaide weiß: Wenn sie sich ein wenig mehr Mühe gibt, ihn noch etwas mehr liebt, wird er ihre kleinen Fehler schon vergessen. Da stirbt Rorys Exfreundin Nathalie, Times-Journalistin, Perfektion in Person. Es geschieht, wovor sich Adelaide immer gefürchtet hat: Das genau ausbalancierte Gefüge ihres Lebens fällt in sich zusammen. Egal, wie sehr sie sich bemüht, sie kann sich nicht mit dem Geist von Nathalie messen. Es dauert, bis Adelaide erkennt, dass das Licht gerade dann am hellsten funkelt, wenn es sich in den tausend kleinen Unperfektheiten des Lebens bricht.

Mein Eindruck

Hätte ich “Jedes Herz ist ein Puzzle aus Scherben” in der Buchhandlung liegen sehen, hätte ich wahrscheinlich leise Würge-Geräusche aufgrund des kitschigen Titels von mir gegeben und das Buch ansonsten ignoriert. Da es mir aber geschenkt wurde und die Schenkende der festen Überzeugung war, dass dies ein Roman für mich sei, konnte ich gar nicht anders als ihn wenige Tage später zu lesen. Spoiler: Sie hatte recht!

Der Verlag bewirbt “Jedes Herz ist ein Puzzle aus Scherben” mit den Worten “Für Fans von Sally Rooney bis Colleen Hoover”. Nun habe ich von beiden Autorinnen schon mehrere Bücher gelesen, hätte sie aber beide nie in einem Satz genannt, da ihre Art zu schreiben, doch sehr unterschiedlich ist. Aber tatsächlich ist dieser Roman eine gute Mischung aus dem Schreibstil der beiden Autorinnen: Er hat den Spannungsbogen eines Hoover-Romans und die “Ja, so ist es!”-Momente eines Rooney-Romans.

Beeindruckt hat mich Genevieve Wheelers Werk von Beginn an. Denn aufgrund des Erzählstils ist man bereits nach wenigen Seiten emotional sofort „all in“, ohne zu dem Zeitpunkt überhaupt eine Verbindung zu den Figuren haben zu können. Adelaide, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, befindet sich mit Mitte 20 am Tiefpunkt ihres bisherigen Lebens. Im weiteren Verlauf erfährt die Leserschaft wie es soweit kommen konnte – immer wieder wird dabei zwischen den Zeiten hin und her gesprungen. Die Kapitel sind allerdings mit den jeweiligen Zeitangaben überschrieben, so dass man nicht Rätsel raten, aber dennoch aufmerksam lesen muss, um den Anschluss nicht zu verlieren. Im Mittelpunkt dieses Buches steht – natürlich – eine Liebesgeschichte. Es ist allerdings eine dieser Geschichten, bei denen man von außen drauf schaut und ständig denkt „Nein! Das kannst du doch nicht mit dir machen lassen! Bist du bescheuert?“ Es ist eine dieser Geschichten, die wütend machen. Wütend auf Männer und Frauen gleichermaßen: Auf Männer, weil sie sich für den Nabel der Welt halten und auf Frauen, weil sie erst viel zu spät merken, wie toxisch das Verhalten eines Mannes ist. Ich wurde aber auch wütend auf mich selbst, weil ich mein früheres Ich in einigen von Adelaides Verhaltensmustern wiedererkannte. Neben der Liebesgeschichte gibt es aber weitere Nebenkriegsschauplätze wie traumatische Erlebnisse in der Jugend, Herausforderungen im Job und eine eine nicht gerade emotional stabile Ursprungsfamilie, die alle ihr Übriges zu Adelaides Charakter beitragen und dem Leser zum Teil auch bestimmte Verhaltensmuster erklären, ohne dass dies explizit erläutert wird.

Die poetische Sprache, die aber nicht bemüht, sondern ganz natürlich wirkt, verleiht dem Buch eine melancholische Schönheit, die sich bei meiner Ausgabe in 17 Klebezettelchen am Rand widerspiegelt. Adelaides Charakter ist authentisch und mit einer Tiefe gezeichnet, die es mir ermöglicht haben, mich ihren Gedanken und Emotionen völlig hinzugeben.

Der Originaltitel des Romans lautet übrigens schlicht “Adelaide” – ich weiß nicht, warum man im Deutschen einen derartig kitschigen Titel wie “Jedes Herz ist ein Puzzle aus Scherben” daraus machen musste, aber irgendein Marketing-Profi wird sich schon etwas dabei gedacht haben.

Mein Fazit:

“Jedes Herz ist ein Puzzle aus Scherben” ist wesentlich tiefgreifender als es der Titel vermuten lässt. Genevieve Wheeler liefert hier keine klassische Liebesgeschichte, sondern beleuchtet die dunklen Seiten der Liebe auf eine sehr emotionale und ernsthafte Weise. Klare Leseempfehlung für all diejenigen, die die Nase voll haben von den klassischen Liebesgeschichten und stattdessen einen Pageturner lesen wollen, der oftmals weh tut. weil er einem den Spiegel vorhält.

Share This