|Rezension| Umlaufbahnen – Samantha Harvey

von | Jan. 26, 2025 | 0 Kommentare

Ein durch und durch beeindruckendes Buch!

Verlag: dtv
Originaltitel: Orbital
Übersetzung: Julia Wolf
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 18,99 Euro
Erscheinungsdatum: 14.11.2024
Seiten: 224

„Im Orbit ist sein Lebensgefühl einfacher und sanfter und versöhnlicher, seine Gedanken sind nicht anders, nur seltener und klarer. Sie überrollen in nicht mehr in Lawinen wie früher. Sie kommen und sind so lange wie nötig von Interesse für ihn, und dann gehen sie wieder.“ (S.133)

Inhalt

Sechs Astronauten schweben in einer Raumstation durchs All. Den Planeten Erde umkreisen sie in 90 Minuten, sechzehnmal in 24 Stunden. Die zwei Frauen und vier Männer aus ganz unterschiedlichen Nationen arbeiten, essen und schlafen auf engstem Raum – und doch ist alles losgelöst vom Alltag, Schwerkraft und Zeitempfinden sind außer Kraft gesetzt. Was passiert, wenn man seine Heimat nur aus weiter Ferne durch ein kleines Fenster sieht? Wie verändern sich Denken und Fühlen? In dem Zeitraum von nur einem Tag, während die Sonne sechzehnmal auf- und untergeht, betrachtet dieser ungewöhnliche, kraftvoll poetische Roman die großen und kleinen Fragen der Menschheit und bringt uns der Schönheit des Universums ganz nahe.

 

Mein Eindruck

Samantha Harveys “Umlaufbahnen” hat mich nicht etwa wegen meines Interesses für den Weltraum angezogen, sondern aufgrund der Frage, wie sechs Astronaut:innen, die letztlich “nur” Arbeitskolleg:innen sind, auf engstem Raum unter außergewöhnlichen Umständen miteinander zurechtkommen. Doch um es gleich vorwegzunehmen: Diese zwischenmenschliche Dynamik spielt in “Umlaufbahnen” kaum eine Rolle. Zwar werden die persönlichen Hintergründe der Astronaut:innen angedeutet, doch sie bleiben eher blass und im Hintergrund. Der Fokus des Buches liegt woanders: auf dem Blick nach draußen, auf das, was sich jenseits der Raumstation abspielt.

Harvey schildert die Schönheit und zugleich die Zerstörung unserer Erde mit einer eindrucksvollen Bildsprache, die von Demut vor der Weite des Universums geprägt ist. Während ich las, hatte ich das Gefühl, selbst in der Raumstation zu sitzen und auf die Erde hinabzublicken – eine Perspektive, die selten so eindringlich beschrieben wurde. Besonders beeindruckt hat mich, wie Harvey nicht nur Landschaften, sondern auch Naturphänomene wie einen immer mächtiger werdenden Taifun in Szene setzt. Ihre Sprache ist dabei fast schon lyrisch, und die fließenden, poetischen Beschreibungen zeigen, wie meisterhaft sie das Genre des “nature writing” beherrscht. Einen besonderen Anteil an dieser sprachlichen Wucht hat sicherlich auch Julia Wolf, deren Übersetzung die Feinheit und Schönheit von Harveys Stil hervorragend einfängt.

“Umlaufbahnen” ist ein leises Buch – eines, in dem auf den ersten Blick “nichts passiert”. Und doch entfaltet es eine unglaubliche Intensität. Was mich neben Harveys literarischem Können besonders beeindruckt hat, ist die sorgfältige Recherche, die dem Werk zugrunde liegt. Es fällt schwer zu glauben, dass sie selbst nie auf einer Raumstation war. Stattdessen hat sie, wie sie in der Danksagung erwähnt, auf Informationen von NASA und ESA zurückgegriffen – und diese auf beeindruckend authentische Weise verarbeitet.

Abschließend stellt sich mir die Frage, wie “Umlaufbahnen” wohl auf echte Astronaut:innen wirkt. Würden sie Harveys Perspektiven als realitätsnah empfinden? Würden sie sich in ihren Beschreibungen wiederfinden? Es wäre spannend, ihre Gedanken dazu zu hören. Bis dahin bleibt dieses Buch eine Empfehlung für alle, die bereit sind, sich auf eine stille, aber tief bewegende Reise durch die Umlaufbahnen der Erde einzulassen.

Mein Fazit:

Samantha Harveys “Umlaufbahnen” ist ein stilles, beinahe meditatives Buch, das weniger von zwischenmenschlicher Spannung lebt, sondern von der Schönheit und Verletzlichkeit unserer Erde. Mit poetischem “nature writing” und eindringlichen Bildern entführt es die Lesenden in die Umlaufbahn – und hinterlässt eine tiefe Ehrfurcht vor der Weite des Universums. Wer keine actiongeladene Weltraumgeschichte sucht, sondern bereit ist, sich von Sprache und Perspektiven tragen zu lassen, wird in diesem Buch eine beeindruckende literarische Erfahrung finden. Zudem ist “Umlaufbahnen” eines der wenigen Bücher, das man durchaus mehrmals lesen kann und das dabei nichts von seiner Strahlkraft verliert. 

Vielen Dank an dtv für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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