|Rezension| Verrat. Sieben Verbrechen an der Liebe – Jessica Schulte am Hülse
Sieben wahre Geschichten über die Abgründe der Liebe
„Ihre Ehe war die ramponierte Kulisse eines längst liquidierten Theaters.” (S.209)
Worum geht´s?
Jessica Schulte am Hülse beschreibt in sieben Erzählungen das große und das kleine Drama der Liebe. Gemein ist den Erzählungen ein Verrat, der die Liebe zwischen zwei Menschen oder das Verhältnis zwischen zwei Menschen beschädigt, belastet, zerstört. Am Ende jeder Geschichte stehen die Menschen traumatisiert oder auch befreit vor den Scherben dessen, was einmal Vertrauen, Geborgenheit, Freude und tiefe Liebe war. Mal kommt die Unwahrheit auf leisen Sohlen, mal brutal und unfair mit großen Schritten, mal finden die Verratenen einen Weg aus dem Drama, mal zerbrechen sie an der Heftigkeit des Erlebens und können sich nur durch radikale Schnitte aus dem Tumult und der Verstrickung befreien.
Verrat. Sieben Verbrechen an der Liebe – das sind sieben Geschichten, die uns teilhaben lassen an den Verletzungen, die sich Menschen willentlich oder unwillentlich antun im Namen der Liebe. Packend, traurig, bestürzend und von großer psychologischer Intensität.
Cover und Titel
Mein Eindruck
Bekanntlich habe ich ja ein großes Herz für Kurzgeschichten. Als ich feststellte, dass in diesem Buch sieben Kurzgeschichten über mein Lieblingsthema – die Liebe – versammelt sind, die eine anspruchsvolle Lektüre versprechen, denn dafür steht der Blessing Verlag bekanntlich, konnte ich nicht widerstehen. Den besonderen Reiz an “Verrat. Sieben Verbrechen an der Liebe” macht außerdem die Tatsache aus, dass Jessica Schulte am Hülse hier sieben wahre Begebenheiten schildert. Unter diesem Aspekt nimmt man die einzelnen Erzählungen auf eine ganz andere Weise wahr.
Auffällig ist bereits beim Lesen der ersten Geschichte der neutrale Erzählstil der Autorin: kurze Sätze, keine bildliche Sprache, keine Wertungen und kaum wörtliche Rede. Diese Distanz zum Geschehen, die teilweise eher berichtartig als romanhaft ist, hilft beim Verdauen der teilweise doch sehr heftigen Erzählungen, die immer eines gemeinsam haben: einen Betrug in der Liebe. Betrug ist hier nicht im klassischen Sinne (Fremdgehen) gemeint, sondern wird auf ganz unterschiedliche Weise thematisiert. Jede (Liebes-)Geschichte beginnt vielversprechend und endet im besten Fall in einer Enttäuschung, im schlechtesten in einer Katastrophe. Nach einer himmelhochjauchzenden Phase tun sich allmählich Abgründe auf, in die die Betroffenen mal mit voller Wucht stürzen, mal langsam hineingleiten. Die Autorin schildert deren Leid, ihren (vergeblichen) Kampf und auch ihre Wut nachdem der Verrat ans Licht gekommen ist.
Beeindruckend fand ich die Vielfältigkeit der sieben Erzählungen, bei der keine der anderen gleicht. Trotz des gemeinsamen Nenners “Verrat” sind sie thematisch so verschieden, dass diese Anthologie eine sehr kurzweilige und facettenreiche Lektüre ist, die aufzeigt welche Gesichter ein(e) Liebende(r) haben kann, wenn sie/er auf verschiedene Weise betrogen wird. Obwohl die Autorin ihre distanzierte und wertfreie Sicht auf die Dinge beibehält, hat jede Geschichte durch einen angepassten Erzählstil (mal Ich-Erzähler, mal wechselnde Perspektiven) eine individuelle Note.
Wer generell keine Kurzgeschichten mag, weil sie zu viele Fragen offen lassen, wird auch mit “Verrat. Sieben Verbrechen an der Liebe” nicht glücklich werden, denn hier gibt es nicht nur kein Happy End, sondern die Autorin bleibt einem auch eine Aufklärung über das weitere Schicksal der Protagonisten schuldig. Das könnte für den ein oder anderen – gerade vor dem Hintergrund, dass es sich hier um wahre Begebenheiten handelt – unbefriedigend sein. Für mich war die bewusste Konzentration auf das Wesentliche absolut in Ordnung, weil es in meinen Augen eben das ist, was gute Kurzgeschichten ausmachen.
Mein Fazit:
Dieses Buch ist kein Wohlfühl-Liebesbuch; ich musste, nachdem ich eine Geschichte beendet hatte, sogar teilweise länger pausieren bis ich mich an die nächste Geschichte wagte, um die Tragweite des Gelesenen erst einmal zu verarbeiten. Trotzdem kann ich Jessica Schulte am Hülses Kurzgeschichtensammlung vorbehaltlos weiterempfehlen, weil sie nicht nur auf beeindruckend nüchterne Art über die dunkle Seite der Liebe schreibt, sondern die Erzählungen auf mich einen “Ach, mein Leben ist doch gar nicht so schlimmt”-Effekt hatten und damit indirekt doch einen Wohlfühl-Effekt.