|Rezension| Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes – Guilia Becker
Perfekte Unterhaltung für triste Tage
„Es war keine normal große red flag wie bei Leuten, die einen ohne Ankündigung anrufen, sondern so eine mit hundert Metern Durchmesser, die bei der Fußball-Weltmeisterschaft von fünfzig rennenden Kindern in einer aufwendigen Choreografie auf dem Spielfeld ausgebreitet wird, sodass man sie von der ISS-Raumstation aus sehen kann.” (S.105)
Inhalt
Giulia Becker ist die Königin des Grotesken, des Überdrehten. In ihrem neuen, zweiten Buch strickt sie einen ganzen Kosmos aus kleinen Alltagsbeobachtungen. Ein Urlaub im Wellnesshotel, die Therapieplatzsuche in Deutschland, als Detektivin in Aktion – Giulia Beckers Geschichten beginnen harmlos und nehmen dann die unerwartetsten Wendungen. Sie erzählt die ganze Wahrheit über Katzen und Gitarren und schreibt das einzig gültige Horoskop. Becker entlarvt in ihren Texten unsere täglichen Herausforderungen als das, was sie sind: eine Aneinanderreihung von Absurditäten, die in ihrer Summe vor allem urkomisch sind.
Mein Eindruck
Nachdem ich in letzter Zeit wirklich viele triste Geschichten gelesen hatte, was in der dunklen Jahreszeit vielleicht nicht ganz so clever ist, habe ich mich im neuen Jahr als erstes mit Genuss Guilia Beckers “Wenn ich nicht Urlaube mache, macht es jemand anderes” hingegeben. Dazu muss ich sagen: Ich kannte Guilia Becker vorher nicht (ja, ich lebe hinterm Mond!) und habe mich nur von dem lustigen Titel und dem ansprechenden Cover verführen lassen. Shout out an den Rowohlt Verlag: Exzellentes Marketing!
Nun aber zu den inneren Werten des Buches: Es ist ein bisschen abgedreht, aber an anderen Stellen wieder so glaubhaft und feinfühlig, dass man die Autorin umarmen will. Inhaltlich werde ich nichts verraten, außer dass Guilia Becker in diesem Buch Texte zu verschiedenen Themen versammelt: Es geht gleich ganz heiter los mit einem Text namens “Tod” und setzt sich fort mit Erzählungen über eine Nacht im Media Markt, die Suche nach einem Therapieplatz oder Überlegungen zum Wandern. Mein Favorit ist ganz klar der Text über den Urlaub im Wellnesshotel. Die bildliche Sprache, der großartige Humor, der Wiedererkennungseffekt – grandios! “Im dampfenden Heißbecken hingegen sitzen die grauhaarigen Dauerplanscher wie die Hühner auf der Stange, mit roten, aufgeplusterten Gesichtern und geweiteten Blutgefäßen, und zwar stundenlang am Stück anstatt der empfohlenen acht Minuten. Kein gesundes Maß, keine Impulskontrolle, nicht der Funke eines Optimierungswillens. Ich liebe sie alle. Hier gehöre ich hin.” (S. 71)
Guilia Beckers teilweise abenteuerlichen Satzkonstruktionen machen genauso viel Spaß wie ihr selbstironischer Ton. Es hat mich sehr beeindruckt wie die Autorin scheinbar Alltäglichem durch ihre ausgeklügelte, pointierte Sprache zu etwas Besonderem macht. Die oben beschriebene Situation hätte man ja auch mit “Da saßen Rentner im dampfenden Becken.” beschreiben können. Aber mit ihrer bildlichen Sprache, der persönlichen Note und dem intelligenten Humor macht sie daraus beste Unterhaltung für triste Tage.
Wie üblich bei Kurzgeschichten treffen nicht alle meinen Geschmack. Manche Geschichten empfand ich als ein wenig “drüber”. Aber der Großteil hat mir wirklich gut gefallen. Ich habe lange nicht mehr so viel (laut) gelacht beim Lesen!
Mein Fazit:
Guilia Becker beweist mit “Wenn ich nicht Urlaube mache, macht es jemand anderes”, dass sie eine Meisterin darin ist, Alltägliches in humorvolle und gleichzeitig feinfühlige Geschichten zu verwandeln. Ihr scharfer Blick für Details, kombiniert mit einer einzigartigen, oft selbstironischen Erzählweise, machen ihre Geschichten zu einem besonderen Leseerlebnis. Auch wenn nicht jede Geschichte bei mir voll ins Schwarze trifft, überwiegen die originellen und amüsanten Momente bei weitem. Wer in der dunklen Jahreszeit nach leichter, intelligenter Unterhaltung sucht, wird hier fündig – und entdeckt vielleicht sogar Guilia Becker für sich – so wie ich.