|Rezension| Alle sind so ernst geworden – Martin Suter/ Benjamin von Stuckrad-Barre

von | Jan 17, 2021 | 0 Kommentare

Konzeptionsloses Gelaber mit Unterhaltungswert 

Verlag: Diogenes
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 18,99 Euro
Erscheinungsdatum: 09.12.2020
Seiten: 272

Stuckrad-Barre: “Ich sehe uns da eher als Sonnenaufgang.“

Suter: “Ja, gut, okay, aber Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge, das sind beides…”

Stuckrad-Barre: “Sonnenuntergang sieht schöner aus, Sonnenaufgang ist das schönere Symbol, Sonnenuntergang ist dann schon sehr, ja, wenn man die Rentenkasse dann bald zu behelligen droht.”

Suter: “Geht ein bisschen ins Kitschige, oder, der Sonnenuntergang?”

Stuckrad-Barre: “Ja, der Kitsch. Ach, Kitsch ist doch nur schlecht von außen. Von innen ist Kitsch ja herrlich.” (S.215)

Inhalt

Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre unterhalten sich über: Badehosen, Glitzer, Äähm, Hochzeiten, LSD, Teufel, Gott, Madonna, Arbeit, Ibiza, Kochen, Rechnungen, Siri, Fotos, Mundharmonika, Geldscheine, Verliebtheit, Wiedersehen.

Mein Eindruck

Neben der sehr aggressiven Werbung vieler Prominente mit einer Lobeshymne nach der anderen für dieses Buch gab es konträr auch viele Kritik an “Alle sind so ernst geworden” aus der Bloggerszene. Da ich sowohl die Romane von Martin Suter als auch die Bücher von Benjamin von Stuckrad-Barre sehr schätze, war klar, dass ich dieses Buch, das eine für mich spannende Symbiose bildet, lesen muss.

Vorab: Beide Männer sind nicht gerade Sympathierträger: Suter, der immer Anzug trägt und gegelte Haare hat, verkörpert rein optisch den wohlhabenden, arroganten Schweizer per excellence. Stuckrad-Barre, nicht nur bekannt durch seinen Erfolgsroman “Soloalbum”, sondern auch durch seine Drogenabhängigkeit, aus der er nie einen Hehl gemacht hat, ist immer ein bisschen drüber. Ich habe beide aber vor Jahren schon bei Lesungen erlebt und sie gemocht. Vielleicht habe ich einfach ein Herz für schräge Typen. Wenn man aber einen der Beiden oder sogar beide Herren schon vorab unsympathisch findet, kann man sich die Lektüre des Buches sparen, denn dieses wird die Antipathie vermutlich noch verstärken.

Ich hätte die beiden aber eben aufgrund ihres unterschiedlichen Wesens und des Altersunterschieds vermutlich nie zusammengebracht, umso neugieriger war ich auf die Dialoge in “Alle sind so ernst geworden”, das durch seinen Titel bereits die Unernsthaftigkeit der enthaltenen Texte andeutet und dadurch noch attraktiver auf mich wirkte. Ernsthafte, philosophische Überlegungen hätte ich in der aktuellen angespannten Lage (Pandemie und so) nur schwer ertragen. Und so freute ich mich, dass sich der erste Text – man glaubt es kaum – um die neonfarbene Badehose Suters dreht. Nachdem ich mich in den Plauderton der beiden Herren eingegroovt hatte, habe ich mich köstlich amüsiert. Stuckrad-Barre labert Suter, der immer nur recht trocken und mit schweizerischer Neutralität antwortet, in Grund und Boden – auf der sympathische und witzige Art. Dadurch wirkt er zwar insgesamt in den Gesprächen dominanter, allerdings ist Suter ja bekannt für sein pointierten Aussagen, die auch hier in den Dialogen zu finden sind.

Wie bereits angekündigt, werden hier keine ernsthaften, weltpolitischen Themen diskutiert (Gott bewahre!), sondern belangloses Themen-Hopping betrieben: Von Suters neonfarbener Badehose geht es über die Beschaffung von Glitzer, Promi-Hochzeiten und die Aussprache von Ibiza bis hin zu einem absurden Gespräch der Beiden mit Apples Sprachassistentin Siri. Auch wenn die Texte inszeniert und nicht wie private Gespräche zwischen Freunden wirken, ist die gegenseitige Wertschätzung stets spürbar. Stuckrad-Barre überzeugt durch Wortwitz und Eloquenz, Suter durch pointierte Antworten und einem ironischen Unterton.

Natürlich ist “Alle sind so ernst geworden” keine hochtrabende Lektüre – die sollte man bei diesem Titel aber auch nicht erwarten. Dieses Buch will unterhalten und hat seine Funktion bei mir voll erfüllt. Ich kann nachvollziehen, dass Leser*innen von den Dialogen genervt sind, aber als jemand, der alle Bücher Stuckrad-Barres gelesen hat, war ich wohl bereits vorgewarnt, was mich erwartet und wurde deshalb auch nicht enttäuscht. Wofür ich allerdings kein Verständnis habe, ist die Aufregung einer Leser*innen darüber, dass Stuckrad-Barre seine (ehemalige!) Drogenabhängigkeit ständig thematisiert und sich ironisch darüber äußert. Er würde sie dadurch verharmlosen. Bullshit! Wir leben in einer Welt, in der immer wieder angeprangert wird, dass bestimmte Themen (Sucht, Fehlgeburt, Depression) totgeschwiegen werden. Und dann regt man sich darüber auf, wenn ein Betroffener keinen Hehl daraus macht, dass er drogenabhängig war? Vielleicht ist es einfach seine Art, mit schwarzem Humor darüber zu reden anstatt sich jahrelang deshalb selbst zu geißeln oder sie generell totzuschweigen? Kann man das den Betroffenen bitte selbst überlassen wie sie über ihre Vergangenheit reden und stattdessen einfach froh sein, dass sie es überhaupt tun? Danke.

Mein Fazit:

Wenn ich die Wahl hätte, mir für 22 Euro “Alle sind so ernst geworden” oder einen 400 Seiten Roman zu kaufen, würde ich vermutlich letzteres wählen, denn 22 Euro sind schon ein stolzer Preis für “konzeptionsloses Gelaber”, wie Martin Suter die Texte in diesem 272 Seiten umfassenden Büchlein selbst bezeichnet. Aber es ist sehr unterhaltsames, konzeptionsloses Gelaber, das mir während des Lesens mindestens aller 10 Min. ein Lächeln beschert hat. Für mich hat sich diese leichte Lektüre in schweren Zeiten deshalb absolut gelohnt.

 
Vielen Dank an Diogenes für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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