|Rezension| Cleopatra und Frankenstein – Coco Mellors
Definitiv nicht die Romanze, die ich erwartet habe!
„Zwei Teile Zufriedenheit, ein Teil Sehnsucht. Das erschien ihr wie eine gute Formel fürs Leben, wenn auch eine, die sie noch nicht gemeistert hatte. Ihrer Mutter war das ganz sicher nie gelungen.“ (S.161)
Inhalt
Ein Silvesterabend in New York: Cleo, Mitte zwanzig, britische Kunststudentin, Bohémienne a.k.a. ewig pleite, trifft Frank, Mitte vierzig, Amerikaner, Inhaber einer Werbeagentur und ungleich gesettleter, im Aufzug einer Partylocation. Es ist die vielbeschworene Liebe auf den ersten Blick. Hals über Kopf stürzen Cleo und Frank sich in eine amour fou, mit der sie selbst kaum Schritt halten können – geschweige denn die, die ihnen nahestehen.
Mein Eindruck
“Cleopatra und Frankenstein” wurde vom Verlag angepriesen als eine “süchtig machende New York-Romanze. Nun, unter einer Romanze stelle ich mir definitiv etwas anderes vor und die einzig Süchtigen sind hier die Figuren im Buch. Der Kokainkonsum der Protagonisten wird immer wieder so beiläufig erwähnt wie sonst das Nase putzen. Das ist schon ziemlich irritierend, wenn man aus einer kleinen deutschen Großstadt kommt, in der es – jedenfalls in den Kreisen, in denen ich verkehre – nicht normal ist, ein Päckchen Koks zur Hochzeit geschenkt zu bekommen.
Von diesem Detail zunächst abgeschreckt, gleichermaßen aber von Coco Mellors Schreibstil sehr angetan, stand ich vor der Frage “Weiterlesen oder nicht?”. Ich habe mich für ersteres entschieden und es nicht bereut. Auch wenn ich diesen immensen Drogenkonsum im Roman als störend empfand, maße ich mir nicht an, realistisch einschätzen zu können, ob dies in der New Yorker Upper Class nicht wirklich die Realität ist. Sympathisch waren mir die Figuren dadurch alle nicht, aber interessant fand ich sie schon. Sowohl Frank und Cleo, deren Liebesgeschichte im Mittelpunkt des Romans steht und damit auch titelgebend ist, als auch die Nebenfiguren Quentin, Zoe, Anders und Eleonor sind psychisch in einem desolaten Zustand, was sie hinter einer glänzenden Fassade zu verstecken versuchen. Die Autorin gewährt den Lesern einen ungeschönten Blick hinter die Fassade – stellenweise ist das schwer zu ertragen, aber es gibt durchaus auch humorvolle Szenen.
Coco Mellors erzählt ihre Geschichte aus der auktorialen Perspektive bis die Figur der Eleonor ins Spiel kommt und ihre Gedanken und Erlebnisse aus der Ich-Perspektive geschildert werden. Das erzeugt eine besondere Spannung, da man sich natürlich sofort die Frage stellt, warum sich die Autorin an dieser Stelle für den Wechsel der Perspektive entschieden hat. Besonders gelungen empfand ich bei diesem Buch allerdings die Dialoge. Bereits in der Anfangsszene, als Cleo und Frank sich kennenlernen und einen verbalen Schlagabtausch liefern, hatte mich die Autorin für sich eingenommen. Insgesamt ist die Geschichte sehr dialoglastig, was mir ausgesprochen gut gefallen – einfach weil die Dialoge großartig sind. Insgesamt habe ich auf den 500 Seiten 16 Textstellen markiert, die ich großartig fand – das ist eindeutig ein Beweis dafür, dass sich die Lektüre von “Cleopatra und Frankenstein” für mich gelohnt hat.
Neben dem stets präsenten Drogenkonsum hat mich auch die Vielfalt der angeschnittenen Themen gestört. Das war mir zu viel und hätte es für die Geschichte eigentlich auch nicht gebraucht: Alkoholabhängigkeit, Suizid, Homosexualität, Essstörung, häusliche Gewalt, Depression – die Autorin hat nichts ausgelassen, aber eben vieles nur gestreift und den Dingen damit zumindest zum Teil ihre Ernsthaftigkeit genommen.
Mein Fazit:
Coco Mellors erzählt in “Cleopatra und Frankenstein” eine Geschichte, die in einer Lebensrealität spielt, die sich für mich derart unwirklich anfühlt, dass es schwer fällt, sie als Realität zu akzeptieren. Auch wenn all ihre Figuren keine Menschen sind, mit denen ich im echten Leben befreundet sein würde, waren ihre Probleme für mich nachvollziehbar und stellenweise auch nachfühlbar. Vor allem durch die sehr realitätsnahen und abwechslungsreichen Dialoge war die Lektüre sehr unterhaltsam und durch den Schreibstil der Autorin auch inhaltlich bereichernd. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Roman polarisiert, aber wenn ich mich für eine Seite entscheiden muss, dann ist sie es definitiv “Pro Cleo&Frank”!