|Rezension| Wie du mich ansiehst – Eva Lohmann
Von Sorgenfalten und Selbstzweifeln – Ein kluger Roman über das Älterwerden

„In der Mitte des Lebens hat man eben schon die Hälfte hinter sich, ist ein paarmal aus den Bahnen geworfen worden und hat sich wieder fangen müssen. Das Erlebte ist unterschiedlich, die Resultate ähnlich. Diese vom Beben des Lebens leicht erschüttert wirkenden Gesichter um die vierzig.“ (S.49)
Inhalt
Zwei Dinge hat Karl seiner Tochter Johanna hinterlassen: Den geliebten, verwilderten Garten – und eine tiefe Sorgenfalte auf der Stirn, die einfach nicht mehr weggehen will. Den Garten möchte Johanna behalten, aber die Sorgenfalte soll weg: Sie lässt das erste Mal in ihrem Leben »etwas machen« und ist fasziniert, wie scheinbar einfach sich die Erschütterungen eines vierzigjährigen Lebens ausradieren lassen. Mit dem Verschwinden der Falte treten allerdings neue Fragen auf: Warum ist Johanna ihr Aussehen überhaupt so wichtig? Wie erklärt sie die Sache ihrer Tochter, der sie immer gepredigt hat, sich selbst bedingungslos schön zu finden? Und kann das Älterwerden für Johanna nicht auch eine große Freiheit bedeuten?
Mein Eindruck
Letztes Jahr habe ich Eva Lohmanns Debüt “Das leise Platzen unserer Träume” gelesen und war nicht nur vom großartigen Titel, sondern auch vom Inhalt begeistert. Nun hat die Autorin mit “Wie du mich ansiehst” einen zweiten Roman veröffentlicht und das ist ja immer ein bisschen heikel als Leserschaft – ist die Erwartungshaltung nach einem großartigen Debüt naturgemäß doch nun sehr hoch. Und ich gebe zu: Ich war nach dem Lesen des Klappentextes skeptisch. Ich habe nämlich keine Affinität zu Gärten oder zu Botox – noch nicht jedenfalls. Aber das ist auch die Ausgangslage bei Johanna – Eva Lohmanns Protagonistin in “Wie du mich ansiehst”: Sie erbt den Garten ihres Vaters, den sie eigentlich nicht will und lässt sich mit Anfang 40 die berühmte Sorgenfalte auf der Stirn straffen. Am Anfang dachte ich noch “Puh, Luxusprobleme!”. Doch schnell wurde klar: Es geht hier nicht nur um vererbte Beete und gespritzte Stirnen, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres: das Altern als Frau und wie unsere Gesellschaft damit umgeht.
Über Männer sagt man oft, sie würden wie ein guter Wein mit dem Alter immer besser. Frauen dagegen? Eher nicht. Warum eigentlich? Johanna stellt fest, dass sie mit Anfang vierzig für Männer praktisch unsichtbar wird. Und es geht ihr nicht darum, neue Bekanntschaften zu machen – sondern um ihr eigenes Selbstwertgefühl, das ins Wanken gerät. Sie predigt ihrer Teenagertochter zwar stets, dass das Aussehen nicht alles ist, aber genau dieses Thema beschäftigt sie nun am meisten.
Die Autorin schreibt liebevoll, klug und unterhaltsam über das Älterwerden und bietet dabei jede Menge Identifikationspotential für Frauen mittleren Alters. Besonders gut gelungen ist, wie sie Johannas Mutter und Tochter mit einbezieht. Drei Generationen, drei Perspektiven, drei unterschiedliche Arten, mit den Erwartungen der Gesellschaft umzugehen – und dabei beeinflussen sie sich gegenseitig mehr, als ihnen lieb ist.
Eva Lohmann regt mit viel Feingefühl zum Nachdenken und Perspektivwechsel an: Steigert eine glatte Stirn wirklich das Selbstwertgefühl? Woher kommt die Zornesfalte eigentlich – und wer bemerkt sie überhaupt? Und wenn sie plötzlich verschwunden ist: Fällt das jemandem auf?
Mein Fazit:
“Wie du mich ansiehst” ist viel mehr als ein Roman über Botox und vererbte Gärten – es ist eine kluge Reflexion über das Altern und den Wert, den wir Frauen uns selbst beimessen (lassen). Ein Buch, das gleichermaßen unterhält und nachhallt.