|Rezension| Blaues Wunder – Anne Freytag

von | Apr. 24, 2025 | 0 Kommentare

Blaues Wasser, dunkle Abgründe – Anne Freytags bitterböses Kammerspiel auf einer Yacht

Verlag: Kampa
Gebundene Ausgabe: 24,00 Euro
Ebook: 18,99 Euro
Erscheinungsdatum: 24.04.2025
Seiten: 256

„Mein Mann trocknet sich ab, aber eigentlich ist er nur ein Mann. Einer, mit dem ich eine Tochter habe. Einer, mit dem ich ein Bett teile. Ein entfernter Bekannter, der mich so oft verletzt hat, dass ich ausgeblutet bin. Viele kleine Schnitte, die uns voneinander getrennt haben.“ (S.173)

Inhalt

Als Ferdinand von einem »Sommer auf dem Meer« sprach, hatte Nora etwas anderes im Sinn: weniger abgelegen, weniger beruflich. Auch Franziska ahnte nicht, worauf sie sich einließ, als ihr Mann Kilian einen Urlaub zu siebt ankündigte: mit seinem Chef Walter Bronstein, Ferdinand Mattern, seinem größten Konkurrenten, den drei Ehefrauen und Walters Sohn David. Auf der luxuriösen Superyacht in den Philippinen mangelt es ihnen an nichts, es könnte eine entspannte Zeit sein, aber die Gäste ahnen: Bei diesem Trip geht es um mehr, um etwas Großes. Nur worum genau, das scheint keiner zu wissen. Wieso hat Walter die beiden Kontrahenten und ihre Frauen eingeladen? Zwei Paare in den Vierzigern, die Kinder aus dem Gröbsten raus, die Eigenheime abbezahlt, die Karrieren steil – die der Männer, versteht sich. Alle zeigen sich von ihrer besten Seite. Es wird strahlend gelächelt und gekonnt konversiert. Eheleute, wie man sie sich nicht glücklicher ausmalen könnte. Aber nichts ist, wie es scheint. Sie alle spielen eine Rolle in dieser Inszenierung. Aber für wen? Und wer führt Regie? Anne Freytag beobachtet präzise und deckt schonungslos auf, was sie sieht. Sie erzählt mit großer Dringlichkeit von stillschweigenden Übereinkünften, die aufgekündigt werden, Erwartungshaltungen und Enttäuschungen, Bedürfnissen und Begierden, Konventionen und Geheimnissen.

Mein Eindruck

Ich habe es bereits in meiner Rezension zu Anne Freytags letztem Roman “Lügen, die wir uns erzählen” geschrieben, aber muss es jetzt noch einmal wiederholen: Ich bin ein Anne Freytag-Fangirl der ersten Stunde. “Blaues Wunder” ist der 10. Roman, den ich von ihr gelesen habe und mit jedem neuen Buch steigt die Erwartungshaltung und damit auch die Angst vor einer Enttäuschung. Der Klappentext von Blaues Wunder ließ mich zunächst zögern: drei Paare auf einer Yacht, Männer in geschäftlicher Verbindung, Frauen als schmückendes Beiwerk – eigentlich nicht mein Setting. Und doch habe ich mich, meiner Fangirl-Loyalität folgend, auf das Experiment eingelassen. Zum Glück! Denn dieser Roman ist anders als die anderen.

Anne Freytag beweist einmal mehr ihre Kunst der feinen Beobachtung – und das in diesem Fall mit einem angenehm bissigen Ton. Von Beginn an entsteht ein Spannungsfeld zwischen der glänzenden Kulisse – türkisblaues Wasser, Sonne, Luxus – und der spürbaren inneren Kälte zwischen den Figuren. Jeder versucht, an Deck die beste Version seiner selbst zu präsentieren, doch unter der Oberfläche brodelt es gewaltig. Heimlichkeiten, Verletzungen, Enttäuschungen – nichts bleibt auf Dauer verborgen.

Geschickt erzählt die Autorin aus wechselnden Perspektiven, streut Hinweise, lässt Raum für Spekulationen und baut dabei eine stetige Spannung auf, die sich unweigerlich einem Höhepunkt nähert. Wie genau dieser aussieht, bleibt lange offen – und überrascht schließlich selbst geübte Leser:innen.

Was nicht überrascht ist ihr Schreibstil: Dieser ist wie immer sehr packend, sprachlich sehr präzise, schnörkellos und “on point”. Die größte Stärke von “Blaues Wunder liegt allerdings meines Erachtens in den vielschichtigen Figuren. Es gibt kein simples Schwarz-Weiß, keine klare Opfer-Täter-Zuordnung. Alle Charaktere tragen Verantwortung, alle haben ihre Abgründe. Genau das macht das Geschehen so intensiv und – trotz der von meiner Lebenswirklichkeit weit entfernten Situation – glaubwürdig. Anne Freytag seziert die Dynamiken von Beziehungen mit scharfem Blick – ehrlich, unbequem und psychologisch dicht.

 

 

 

Mein Fazit:

“Blaues Wunder” ist ein atmosphärisch dichter Roman über Schein und Sein, über Abhängigkeiten und die feinen Risse in scheinbar perfekten Beziehungen. Anne Freytag gelingt ein bitterböses Kammerspiel auf hoher See – spannend, klug und erschreckend realistisch. Ein literarischer Tauchgang in menschliche Abgründe – nichts für schwache Nerven, aber definitiv lesenswert! 

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