|Rezension| Unwetter – Marijke Schermer

von | Apr 22, 2019 | 0 Kommentare

Kann eine Beziehung mit Geheimnissen funktionieren? 

Verlag: Kampa
Übersetzung: Hanni Ehlers
Originaltitel: Noodweer
Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 15,99 Euro
Erscheinungsdatum: 11.03.2019
Seiten:  192

„Ist das Intimleben von Jugendlieben tiefer und intensiver oder gerade nicht, weil es da kein Geheimnis gibt, keine unbekannte Vergangenheit, keine Kluft, die überbrückt werden muss? Worin liegt eigentlich das Geheimnis? Darin, dass der andere ein Leben hatte, das ihn außerhalb deiner Reichweite geformt hat?“ (S.30)

Inhalt

Emilias Leben scheint perfekt zu sein. Sie liebt ihren Job, ist glücklich verheiratet und Mutter zweier kleiner Söhne. Seit die Familie vor den Toren Amsterdams lebt, verbringen Emilia und ihr Mann ihre Zeit damit, den Kindern hinterherzurennen, Freunde einzuladen und ihr Haus zu renovieren. Sie erfreuen sich an den kleinen Dingen des Lebens. Doch dann bricht die Vergangenheit in die Gegenwart ein, die Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis überfällt Emilia, und ihre Welt gerät aus den Fugen …
Zwölf Jahre lang hat Emilia ein schreckliches Geheimnis gehütet, kann sie es weiter verbergen? Würde ihr Mann verstehen, dass sie so lange geschwiegen hat? Während Emilia mit ihrer Vergangenheit ringt, zieht das Misstrauen ein in ihre Ehe. Und der Himmel über der ländlichen Idylle verfinstert sich. Ein Roman über die Paradoxien des Zusammenlebens – das Bedürfnis nach Freiheit und die Sehnsucht nach Intimität, der die Frage stellt, ob wir einander je wirklich kennen können, ob nicht ein jeder von uns unter seiner eigenen Glasglocke lebt.

Mein Eindruck

In der vergangenen Woche las ich erst bei Twitter einen interessanten Thread über kurze Romane. Demnach verschmähen einige Leser diese mit der Begründung, dass es sich gar nicht lohne, in die Geschichte hineinzufühlen, weil sie dann schon wieder zu Ende ist. Leser mit dieser Meinung würde dann wohl auch Marijke Schermers “Unwetter” links liegen lassen. Damit würde ihnen eine zwar verhältnismäßig kurze (192 Seiten), dafür aber sehr intensive und nahezu perfekt konstruierte Lektüre entgehen.

Erzählt wird die Geschichte von Emilia, Bruck und ihren zwei Söhnen – eine scheinbar glückliche Familie, aber da die Autorin sich und den Leser nicht mit Nebensächlichkeiten aufhält, erfährt man gleich zu Beginn, dass in Emilias Vergangenheit etwas im Argen liegt, von dem sie ihrem Mann nie etwas erzählt hat. Durch eine triggernden Vorfall wird sie wieder an die Situation aus ihrer Vergangenheit erinnert und sinniert darüber, warum sie ihrem Mann nie etwas davon erzählt hat und überlegt, ob sie es jetzt tun sollte. Im Wesentlichen geht es also darum inwieweit eine Beziehung/Ehe ein solch großes Geheimnis verkraftet und wie es der Protagonistin damit geht, dieses Geheimnis all die Jahre für sich zu behalten. Da die Geschichte aus Emilias Sicht erzählt wird, bleibt Brucks Sicht auf die Dinge im Verborgenen, was der Spannung aber keineswegs schadet.

Marijke Schermer hat ein feines Gespür für zwischenmenschliche Feinheiten. In einem reduzierten Erzählstil, der mich durch seine Direktheit und Klarheit sofort für sich eingenommen hat, wird Emilias Psyche vielschichtig und mit einer eindrucksvollen Präzision offengelegt. Manchmal möchte man sie schütteln und ihr zurufen “Red endlich mit deinem Mann bevor es zu spät ist.”, dann wiederum denkt man sich “Vielleicht war es doch besser, nichts zu sagen.” Die innere Zerrissenheit, die hier mit einer Nüchternheit, die mich sehr fasziniert hat, dargestellt wird, nimmt immer mehr zu und die Entladung des aufziehenden Unwetters ist nur noch eine Frage der Zeit.

Der Titel des Buches ist damit doppeldeutig, da er sich nicht nur auf das zwischenmenschliche Unwetter, das im Zentrum der Geschichte steht, bezieht, sondern ebenso auf das meteorologisches Unwetter, das zugleich das Zuhause der Eheleute bedroht. Man könnte also sagen: Ihnen steht das Wasser nicht nur wortwörtlich bis zum Hals. Wie Marijke Schermer diese beiden Handlungsstränge verknüpft, ist meisterlich und nahezu von Anfang bis Ende perfekt durchdacht. Leider nur nahezu, weil das Ende meiner Meinung nach die aus der Geschichte gewohnte Präzision vermissen lässt.

“Unwetter” hätte Potenzial zu einem neuen Lieblingsbuch gehabt, wenn es nicht dieses Ende gehabt hätte. Ich möchte nicht spoilern, deshalb nur so viel: Für mich war es sehr unbefriedigend und ich hätte mir einen runderen Abschluss gewünscht.

Mein Fazit:

Wie Marijke Schirmer eine eigentlich höchst emotionale und dramatische Geschichte ungewöhnlich distanziert und nüchtern erzählt, hat mich an “Unwetter” am meisten fasziniert. Denn trotz dieser offensichtlichen Distanz, mangelt es ihr nicht an psychologischer Raffinesse und zutiefst menschlichen Figuren. Wäre das Ende ein anderes gewesen, hätte das Buch Potenzial zum Lieblingsbuch gehabt. So bleibt es aber trotzdem eine sehr empfehlenswerte Lektüre für Leser, die sich die Frage stellen, ob eine Beziehung, in der das Paar zwar ein Leben miteinander teilt, aber nicht seine Geheimnisse, funktionieren kann. 

 
Vielen Dank an den Kampa Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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