|Rezension| Sozusagen Liebe – Marijke Schermer

von | Okt 5, 2021 | 0 Kommentare

Ein kluger Roman über die Erwartungen an die Liebe 

Verlag: Kampa
Originaltitel: Liefde, als dat het is
Übersetzung: Hanni Ehlers
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 26.08.2021
Seiten: 240

„Sie denkt an ihre große Liebe, die sie vielleicht nur deswegen ihre große Liebe nennt, weil sie endete, bevor sie abflaute, nicht die Gelegenheit bekam, definitiv zu scheitern.“ (S.73)

Inhalt

Seit fünfundzwanzig Jahren sind sie verheiratet, sie haben zwei Kinder, gehören einfach zusammen. Zumindest denkt das David. Dann verliebt sich Terri in einen anderen – und für David bricht eine Welt zusammen. Terri hingegen empfindet das Familienleben zunehmend als einengend, fühlt sich beschnitten in ihrer Individualität. Kein Wunder also, dass sie sich ausgerechnet zu dem freiheitsliebenden Lucas hingezogen fühlt, der sich nur um sich selbst zu kümmern braucht. Für die pubertierende Krista ein unverzeihlicher Verrat. Sie hat gerade selbst zum ersten Mal ihr Herz verloren, an den schönen Rafik, aber trotzdem kein Verständnis für die Liebeseskapaden ihrer Mutter. Und dann ist da noch Sev, für die sich »glücklich« und »Familie« ganz grundsätzlich ausschließen. Eine feste Beziehung will sie nicht, einen Liebhaber schon, sie will David. Und so treibt alle die Frage um, was sie eigentlich von der Liebe erwarten, was sie glücklich macht und ob nicht vielleicht auch alles ganz anders sein könnte.

Mein Eindruck

Das Herbstprogramm des Kampa Verlags hat es dieses Jahr in sich. Ein Titel nach dem anderen wanderte auf meine Wunschliste. „Sozusagen Liebe“ von Marijke Schermer ist einer davon. Da ich von der Autorin bereits „Unwetter“ gelesen und vor allem wegen des Schreibstils sehr gemocht habe, ahnte ich bereits: Das wird gut. 

Wie auch bei „Unwetter“ steht in „Sozusagen Liebe“ das Thema „Beziehungen“ im Mittelpunkt. Nach 25 Jahren Ehe trennt sich Terri von David, weil sie sich verliebt hat bzw. weil sie sich in ihrem Familienleben eingeengt fühlt. David und die gemeinsamen Töchter bleiben fassungslos zurück. 

Mosaikartig fügt Marijke Schermer in diesem Roman Auffassungen, Vorstellungen und Wünsche über Formen der Liebe zusammen. Die erste Liebe, eine neue Liebe nach 25 Jahren, Verlassenwerden nach 25 Jahren und eine neue Art der Liebe nach 25 Jahren. Neben David und Terri werden auch Lucas’, Terris Affäre, Sevs, Davids Affäre und Kristas, Terris und Davids Tochter, Gedanken und Erlebnisse in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. Dabei wertet die Autorin das Verhalten ihrer Figuren nicht, sondern wahrt stets die Distanz, was mich als Leserin aber nicht davon abgehalten hat, mit ihnen zu fühlen. Obwohl einige der Figuren nicht gerade Sympathieträger:innen sind, gelingt der Autorin ein so tiefer Einblick in die Charaktere, dass man ihr teilweise moralisch fragwürdiges Verhalten ein Stück weit nachvollziehen kann.

Der Titel “Sozusagen Liebe” spielt auf die verschiedenen Formen der Liebe an. Wer bestimmt, wie Liebe sein muss bzw. welche Art der Liebe einen glücklich macht? Oder was ist, wenn man nicht (mehr) lieben kann und beständige Liebe einem Angst einjagt? Die Autorin versucht gar nicht erst allumfassende Antworten auf diese Fragen zu finden. Vielmehr gibt sie mit ihrer Geschichte Denkanstöße, damit jede:r eigene Antworten auf die Fragen suchen und vielleicht auch finden kann.

Wie auch schon bei “Unwetter” beweist Marijke Schermer in diesem Roman ihr feines Gespür für zwischenmenschliche Feinheiten. In einem reduzierten Erzählstil, der mich durch seine Direktheit und Klarheit wieder sehr begeistert hat, werden die vielschichtigen Gedanken der Protagonisten mit einer eindrucksvollen Präzision offengelegt.

Mein Fazit:

Ich habe bei Google nicht eine einzige Besprechung zu diesem Roman gefunden. Ich finde es bedauerlich, dass “Sozusagen Liebe” bisher so wenig Aufmerksamkeit bekommen hat, denn dieser Roman ist sehr viel mehr als eine simple Liebesgeschichte, wie man sie anhand des Titels vermuten könnte. Er hat mich durch seine präzise Sprache, psychologischer Raffinesse und die zutiefst menschlichen Figuren noch mehr überzeugt als ihr Vorgänger-Werk “Unwetter”. Wer sich für Menschen und verschiedene Arten von Liebe interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

 
Vielen Dank an den Kampa Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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