|Rezension| Scheidung – Moa Herngren
Jede Geschichte hat zwei Seiten…
„Das Auspacken der Umzugskartons dauert Stunden. Gleichzeitig geht es viel zu schnell, und als sie fertig ist, weiß sie nichts mehr mit sich anzufangen, Sie bleibt in der Küche stehen, und eine riesige Leere stellt sich ein, eine umfassende Einsamkeit. Wie nach einer Schwangerschaft, nachdem sich alles darum gedreht hat, irgendwie die Entbindung zu überstehen. Der Umzug. Geschafft. Und da sitzt sie nun mit ihrem Baby und einer Scheißangst.“ (S.292)
Inhalt
Mein Eindruck
Wenn ich über “Scheidung” von Moa Herngren schreibe, muss ich als erstes bei den äußeren Werten des Romans anfangen. Diese waren es schließlich, die mich aufmerksam werden ließen. Ein Roman, der schlicht “Scheidung” heißt – und mit diesem harten Titel auch ein Sachbuch sein könnte, wenn da nicht dieses verspielte, blumige Cover wäre. Ein silber glänzender Titel und pinke Blumen – was für ein Kontrast zum Titel. Das finde ich großartig.
Nun aber zum Inhalt: Moa Herngren schildert in ihrem Roman die Trennung eines Paares mittels eines Perspektivwechsels beider Protagonisten. Sie beginnt mit Bea, die zunächst schildert wie sie holterdiepolter und für sie aus heiterem Himmel von ihrem Mann verlassen wird. Die Schuldfrage scheint schnell klar zu sein. Bis man die Perspektive ihres Mannes kennenlernt…
Die Autorin erzählt sehr menschlich und mit viel Feingefühl vom Untergang einer Beziehung ohne Partei für eine der Figuren zu ergreifen. Mir hat dabei vor allem gefallen, wie sie den Leser zu einem Perspektivwechsel zwingt und bereits vorgefertigte Meinungen ganz beiläufig revidiert werden müssen. Sie zeigt außerdem, dass es nie nur schwarz oder weiß gibt und dass eine Beziehung nur funktioniert, wenn man offen miteinander redet.
In dieser Geschichte werden sich viele (getrennte) Paare wiederfinden, da die Figuren in Moa Herngrens Roman ganz “klassische” Probleme haben: Der Mann arbeitet zu viel, die Frau gibt das hart verdiente Geld zu leichtfertig aus. Der Mann kümmert sich kaum um Familie und Haushalt, die Frau hat kein Verständnis für die Probleme des Mannes, usw. Das klingt vielleicht klischeehaft, ist es aber keineswegs. Dieser Beziehungsroman ist durchaus spannend, vor allem durch das feine Gespür der Autorin für das Ungesagte in Familienkonstruktionen. Sie scheint eine exzellente Beobachterin ihres Umfelds zu sein und analysiert in “Scheidung” wie es sein kann, dass Paare, die mal glücklich miteinander waren, es irgendwann nicht mehr sind.
Der Roman hatte Potential zu den Highlights meines Lesejahres zu gehören, wenn das Ende anders verlaufen wäre. Um nicht zu spoilern, kann ich hier nicht ins Detail gehen, aber ich mir haben hier noch mindestens 50 Seiten “dazwischen” gefehlt. Eben war noch alles so und plötzlich ist es so. Das ging mir zu schnell. Bis zu diesem Punkt fand ich den Roman wirklich großartig.
Ich habe erst im Nachhinein gelesen, das er Teil einer Trilogie ist und hoffe, dass Kein & Aber die anderen beiden Teile auch einkauft und ins Deutsche übersetzt. Ich möchte sie auf jeden Fall lesen!
Mein Fazit:
In “Scheidung” zeigt Moa Herngren auf sehr einfühlsame und fesselnde Weise, dass es bei einer Trennung immer zwei Seiten gibt. Auch die Machtlosigkeit und Verzweiflung des Verlassenen wird eindrucksvoll beschrieben. Es wundert mich nicht, dass dieses Buch in Schweden ein Bestseller war, da es ein hohes Identifikationspotential bietet. Der Autorin gelingt es alltägliche Beziehungsprobleme so lebendig zu beschreiben, dass man nicht nur durch die Seiten fliegt, sondern sich den Emotionen auch nicht entziehen kann. Das Ende war mir zu glatt bzw. kam für mich zu überraschend. Da hätte ich gern noch 50 Seiten mehr gelesen.