|Rezension| Drei Tage im Juni – Anne Tyler
Kurzweilig, witzig und lebensklug

„Wut ist ein viel angenehmeres Gefühl als Traurigkeit. Reiner irgendwie, und konkreter: Doch wenn die Wut verraucht, ist die Traurigkeit so schnell wieder da, als wäre sie nie weg gewesen.“ (S.50)
Inhalt
Drei Tage stehen an, in denen sich Gail und Max, beide Ende fünfzig und seit Längerem getrennt, anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Debbie zusammenfinden. Max reist, nichts ahnend von der Allergie des Bräutigams, überraschenderweise mit einer Katze an, weshalb er statt bei seiner Tochter bei Gail wohnen muss. Obwohl diese Vorstellung für Gail zunächst kaum auszuhalten ist, willigt sie ihrer Tochter zuliebe zähneknirschend ein. Doch schnell zeigt sich: Die alte Verbindung ist immer noch da. Gemeinsam müssen sie sich mit der Frage nach der Treue des Bräutigams auseinandersetzen, und damit, ob Vertrauen auch nach Jahren wiederhergestellt werden kann. Sie blicken aus belustigter Distanz auf die Feierlichkeiten, erinnern sich an Vergangenes und stellen sich Fragen nach der Zukunft – was hält das Leben noch für sie bereit?
Mein Eindruck
Anne Tyler zählt zu den Autorinnen, die es meisterhaft verstehen, das Alltägliche in Geschichten zu verwandeln, die sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig sind. Mit “Drei Tage im Juni” legt sie erneut ein Werk vor, das durch seine feinsinnige Erzählweise und die präzise Beobachtungsgabe beeindruckt.
Der Titel verrät es schon: Die Geschichte spielt an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Juni – dem Tag vor der Hochzeit von Debbie, dem Hochzeitstag selbst und dem Tag danach. Im Mittelpunkt steht aber gar nicht Debbie oder ihre Hochzeit, sondern Gail und Max – Debbies geschiedene Eltern. Obwohl die beiden schon lange getrennt sind, verstehen sie sich inzwischen gut. Aus Gails Sicht erfährt die Leserschaft nicht nur etwas über die Vorbereitungen und die eigentliche Feier, sondern auch viele Rückblicke in ihre Vergangenheit mit Max und die Phasen ihres Lebens. Es ist die Geschichte einer Frau, die über die Mitte ihres Lebens hinaus ist und zurückschaut – auf ihre Ehe, die Trennung und auf all die Erfahrungen und Gefühle, die sie über die Jahre begleitet haben.
Es ist gar nicht so leicht, genau zu sagen, warum ich dieses Buch so sehr mochte – vielleicht, weil es auf den ersten Blick so unscheinbar wirkt und dann doch so viel Tiefe hat. Anne Tyler hat diese besondere Gabe, Alltägliches so zu beschreiben, dass man sich darin wiederfindet. Die Gespräche, die kleinen Spannungen und die lustigen oder auch traurigen Momente – alles fühlt sich echt an. Die Dialoge sind kurzweilig, oft witzig und manchmal ein bisschen bissig, aber nie überzogen.
Gail als Hauptfigur fand ich besonders bemerkenswert. Ihre Gedanken und Erinnerungen wirken so ehrlich und nah, dass ich manchmal das Gefühl hatte, sie spricht direkt zu mir. Man merkt, wie sehr sie über ihr Leben nachdenkt – und wie sie sich selbst dabei immer wieder hinterfragt. Es geht um verpasste Chancen, um Entscheidungen, die das Leben geprägt haben, und um die Frage, was am Ende wirklich zählt.
Für mich war Drei Tage im Juni ein kleines, feines Buch, das mich mit seiner Mischung aus Leichtigkeit und Nachdenklichkeit berührt hat. Anne Tyler schreibt mit einem Humor, der nie platt ist, und einer Weisheit, die einfach wohltuend ist. Es ist kein Buch, das mit großen Dramen oder spektakulären Wendungen daherkommt. Stattdessen liegt der Zauber in den kleinen Dingen: den Erinnerungen, den unausgesprochenen Worten und der Erkenntnis, dass man auch im Alltäglichen das Besondere liegen kann.
Mein Fazit:
“Drei Tage im Juni” ist ein leises, aber kraftvolles Buch über Liebe, Verlust und die Erkenntnisse, die das Leben mit sich bringt. Anne Tyler erzählt mit einer warmen Klugheit, die angenehm das Herz wärmt und zu keinem Zeitpunkt belehrend wirkt. Wer Geschichten mag, die still und trotzdem unheimlich wirkungsvoll sind, sollte dieses Buch lesen. Es ist wie ein Blick in ein fremdes Leben, das am Ende vielleicht gar nicht so fremd ist.