|Rezension| Stars – Katja Kullmann
Astrologie, Alltag und eine Frau, die nicht sucht und doch findet

„Mein Bücherregal betrachte ich als mein Werk.“ (S.39)
Inhalt
Carla Mittmann, einst hoffnungsfrohe Philosophiestudentin, hat ihr Leben in der Serviceabteilung einer Möbelfirma geparkt. Nebenher betreibt sie eine Horoskop-Website – aus Spaß, als Zuverdienst, Schicksalsglauben liegt ihr fern. Doch dann steht ein Schuhkarton vor ihrer Tür, darin zehntausend Dollar, Absender unbekannt. Sie ergreift die Chance, setzt alles auf eine Karte, steigt in großem Stil ins Astrobusiness ein – und da ist er endlich, der Erfolg. Schnell wird sie zur gefragten Starastrologin und bewegt sich in höchsten gesellschaftlichen Sphären, bis sie sich plötzlich nicht mehr sicher ist: Lenkt sie die Sterne oder lenken die Sterne sie? Ein brillanter, scharfsinniger Roman über die Lust der Verführung und die Sehnsucht nach kosmischer Ordnung in Zeiten der Krise.
Mein Eindruck
Zugegeben, ich musste mich erst einmal an Katja Kullmanns Art zu schreiben gewöhnen. Stars ist kein Roman, den man halb müde abends im Bett weglesen kann – was unpraktisch ist, denn genau das ist normalerweise meine Standard-Lesesituation. Nach den ersten 20 Seiten habe ich das Buch deshalb erstmal zur Seite gelegt und später im Urlaub neu angefangen. Und das war eine gute Entscheidung.
Denn auch wenn “Stars” keine schwere Lektüre im klassischen Sinne ist, hat es Kullmanns Stil in sich: verschachtelte Sätze, anspruchsvoll, mit spürbarem intellektuellen Anspruch – und dabei zugleich witzig, pointiert und manchmal herrlich boshaft. Es ist definitiv kein gefälliger Schreibstil, aber einer, der mich beeindruckt hat. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt.
Was mich neben der Sprache besonders überzeugt hat, ist die ungewöhnliche Thematik: Astrologie trifft auf Selbstfindung einer Frau mittleren Alters. Carla Mittmann war früher eine engagierte Philosophiestudentin, jetzt arbeitet sie Teilzeit in einer Möbelfirma und schreibt nebenher Horoskope gegen Geld, obwohl sie selbst gar nicht an die Macht der Sterne glaubt. Und doch startet sie, nach einem unverhofften Geldsegen, plötzlich durch mit ihrem Astro-Business.
Carla ist eine Figur, die hängen bleibt: ein bisschen abgeklärt, manchmal zynisch, aber dabei erstaunlich empfänglich für die Fragen und Unsicherheiten anderer. Sie selbst ist nicht aktiv auf der Suche, sondern hilft vielmehr anderen dabei, Sinn und Orientierung zu finden. Und gerade dadurch, durch das Deuten und Formulieren für andere, beginnt sie, sich selbst besser zu verstehen. Ihre Entwicklung verläuft leise, aber eindrücklich; nicht über große Wendepunkte, sondern über viele kleine Verschiebungen im Denken und Fühlen.
Was mir besonders gut gefallen hat: Kullmann stellt nicht die (Un-)Glaubwürdigkeit der Astrologie in den Mittelpunkt, sondern interessiert sich vielmehr für die Bedürfnisse, die dahinterstehen: den Wunsch nach Ordnung, nach Deutung, nach Gemeinschaft. Es geht um Identität, Arbeit, Weiblichkeit, mediale Selbstinszenierung und den feinen Unterschied zwischen Wissen und Glauben. Und das alles, ohne jemals belehrend zu sein.
Und dann ist da noch das Ende – das hat mich wirklich überrascht. Kein konstruiertes, erzwungenes Finale, sondern ein richtig guter Kniff, der den Roman noch einmal auf ein neues Level hebt. Allein dafür lohnt sich die Lektüre.
Mein Fazit:
“Stars” ist ein sprachlich anspruchsvoller, inhaltlich kluger und unterhaltsamer Roman für Menschen, die an Astrologie glauben und solche, die das nicht tun. Allein für den Kniff, einen Roman für beide Zielgruppen zu schreiben, muss man der Autorin Respekt zollen. Katja Kullmann schreibt scharfzüngig, reflektiert und mit einem genauen Blick auf die Widersprüche unserer Gegenwart. Wer keine Angst vor verschachtelten Sätzen hat und bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Erzählstimme einzulassen, wird mit einer originellen Geschichte mit großartigem Ende belohnt.