|Rezension| Alessandro Baricco – Mr. Gwyn
Eine Geschichte genauso originell wie ihr Cover
„Mit absoluter Gewissheit hatte sie erkannt, dass das Leben ohne ihn von nun an für immer ihre Hauptbeschäftigung sein würde und dass für sie von diesem Moment an alles einen Schatten haben würde, einen zusätzlichen Schatten, auch im Dunkeln, vielleicht sogar vor allem im Dunkeln.“ (S.246)
Worum geht´s?
Jasper Gwyn, ein berühmter englischer Schriftsteller Anfang vierzig, fasst eines Tages einen weitreichenden Entschluss. In einem Zeitungsartikel listet er 52 Dinge auf, die er fortan nicht mehr zu tun gedenkt, darunter auch: Bücher schreiben. Stattdessen beschließt er, in seinem neuen Leben als “Kopist” zu arbeiten und Porträts anzufertigen – dies allerdings nicht mit Pinsel und Palette, sondern in geschriebener Form. Er mietet ein Atelier an, wo ihm fortan Menschen Modell sitzen, die sich später in seinen Porträts gänzlich wiederfinden werden. Bis eine junge Frau auftaucht, die sich den strengen Regeln des Kopisten entzieht.
Cover und Titel
Mein Eindruck
Bücher über den Literaturbetrieb, Schriftsteller oder sonstige bibliophile Themen sprechen mich immer an. In “Mr. Gwyn” hängt der gleichnamige Protagonist sein herkömmliches Schriftstellerdasein an den Nagel und beschließt Kopist zu werden. Doch was soll man sich darunter vorstellen? Jasper Gwyn schreibt Porträts über Menschen. Ähnlich wie ein Maler sitzt der Kunde dabei Modell und der Autor versucht dessen Geschichte in Worte zu fassen ohne mit ihm zu reden. Klingt originell und spannend? Ist es auch!
Es ist schwer, in Worte zu fassen, was diesen Roman so besonders macht. Allen voran ist es wohl Alessandro Bariccos unvergleichliche Art zu Erzählen, die mich von Beginn an für sich eingenommen hat. Am besten lässt sie sich wohl als eine spannende Mischung aus poetischen Gedanken und lakonischen Sätzen beschreiben. Dieser scheinbare Gegensatz macht den speziellen Reiz von “Mr. Gwyn” ebenso aus wie sein gleichnamiger interessanter Protagonist. Oberflächlich betrachtet könnte man ihn als exzentrischen Künstler abtun, der von seinem Dasein übersättigt ist, aber er ist so viel mehr als dieses Klischee: Mr. Gwyn ist vielmehr ein sehr vielschichtiger und origineller Charakter mit klugen Gedanken ohne je belehrend zu wirken.
Während der erste und umfangreichere Teil noch sehr greifbar, unterhaltsam und humorvoll ist, wird es im zweiten Teil etwas undurchsichtiger, vielschichtiger und fast schon magisch. Darauf muss man sich einlassen können, andernfalls wird man an dieser Geschichte keine Freude haben.
Alessandro Barrico erzählt Mr. Gwyns Geschichte sehr feinfühlig und detailliert, zugleich aber auf den Punkt. Kein Satz ist zu viel – im Gegenteil: Der Roman könnte gerne noch 50 Seiten mehr vertragen. Obwohl es keine sich überschlagenden Ereignisse in der Handlung gibt, sondern diese vielmehr sachte voranschreitet ohne das viel passiert, ist man als Leser von der Geschichte dank ihrer Originalität und Unvorhersehbarkeit bis zum Schluss gefangen.
Mein Fazit:
Mit “Mr. Gwyn” liefert Alessandro Barrico eine sehr originelle und kluge Geschichte über das Leben eines Künstlers in der Krise, der neue Pfade betritt und dabei natürlich auch der Liebe auf verschiedene Weise begegnet. Dieser Roman hält unterschwellig so viele kluge Gedanken bereit, dass man ihn eigentlich ein zweites Mal lesen müsste, um wirklich jedes Details aufzunehmen. Ich bin definitiv jetzt ein Alessandro Barrico Fan und habe mir seine bisher erschienenen Romane gleich auf die Leseliste gesetzt.