|Rezension| Alles wird gut – Nina Lykke

von | Aug 3, 2022 | 0 Kommentare

So schön böse!

Verlag: btb
Übersetzung: Sylvia Kall/ Ina Kronenberger
Originaltitel: Full spredning
Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 15,99 Euro
Erscheinungsdatum: 16.08.2021
Seiten: 352

„In jeder einzelnen Minute und Sekunde kann alles zusammenbrechen, niemand ist sicher in diesem sogenannten Alltag, den wir für in Stein gemeißelt halten, der aber in Wirklichkeit in Sand geschrieben ist, und bald kommt der Tsunami. Aus der Entfernung wirkt die Welle so kraftlos und ungefährlich. Erst wenn sie sich über dich erhebt, erkennst du, wie riesig sie ist, aber dann ist es zu spät.“ (S.210)

Inhalt

Wie konnte es so weit kommen? Elin – Mitte 50, Allgemeinärztin seit 20 Jahren und genauso lange verheiratet mit Aksel – ist kurzerhand in ihre Praxis gezogen. Während Aksel jede freie Minute mit Skilanglauf verbringt, schickt Elin eines Abends schon leicht angeschickert eine Nachricht an ihren Jugendfreund Bjørn – der antwortet prompt. Elin fühlt sich das erste Mal seit Langem wieder richtig lebendig. Aus Alltagsresignation wird erwartungsvolle Aufbruchsstimmung. Doch eine langjährige Ehe und das gutsituierte Leben im Reihenhaus lassen sich nicht so leicht abschütteln. Das ist die Ausgangssituation des vielfach ausgezeichneten Romans, der mit entlarvender Ehrlichkeit das Beziehungsleben der modernen Großstädter in mittleren Jahren unter die Lupe nimmt.

Mein Eindruck

Der Inhalt dieses Romans steht in einem krassen Widerspruch zu seinem äußeren Erscheinungsbild. Wer auch immer die Idee hatte, diese mit schwarzem Humor gespikte Geschichte mit einem romantisch anmutenden blumigen Cover zu versehen: Chapeau! Das trifft den Humor des Buches.

Erzählt wird “Alles wird gut” aus der Sicht von Elin, Allgemeinmedizinerin mit Affäre und in Trennung lebend von ihrem Ehemann. Um sich selbst zu geißeln, wohnt sie nach dem Auszug aus dem gemeinsamen Haus nicht etwa in der leerstehenden Wohnung ihrer Mutter, sondern schläft heimlich jede Nacht in ihrer Praxis. Ihre Praxis ist nicht nur als “Wohnort” für die Handlung von Bedeutung, sondern auch als Ort ihrer Selbstgespräche mit dem Praxisskelett Tore. Durch die imaginären Gespräche mit ihm kommen nicht nur ihre teils bitterbösen Gedanken über ihre Patient:innen exzellent zum Ausdruck, sondern sie spricht mit Tore auch über die Anfänge ihrer Affäre und das Ende ihrer Ehe. Dadurch bekommt man als Leser:in einen sehr detaillierten und authentischen Einblick in Elins Leben. Dasss sie bei ihren imaginären Gesprächen kein Blatt vor den Mund, sondern ungefiltert ihre Gedanken mitteilt, macht den Reiz dieses Romans aus. Wer schwarzen Humor und nicht zart besaitet ist, wird beim Lesen sehr oft sehr lachen. Dabei ist Elins Situation eigentlich gar nicht zum Lachen. Dessen ist sie sich durchaus auch bewusst. Aber vielleicht wird ja doch alles gut, so wie ihr Mann Aksel es ihr in guten Zeiten immer prophezeit hat?

Trotz allen schwarzen Humors hat dieser Roman durchaus auch eine psychologische Tiefe. Wie viele Frauen ist Elin in der Geschichte an einem Punkt angekommen, an dem sie sich fragt, warum sie eigentlich immer alles selbst gemacht, für alles Verantwortung übernommen hat, um nun, mit Mitte 50 das Gefühl zu haben, ihr Leben gegen die Wand gefahren zu haben. Ihre Überforderung mit den Neuerungen in ihrem Leben ist stets spürbar, ebenso ihre innerer Kampf mit sich selbst. Immer wieder findet sie sich in Situationen wieder, in denen sie A denkt, aber B macht, um sich hinterher zu fragen: Warum eigentlich?

Nina Lykke seziert die Gefühlswelt ihrer Protagonistin mit viel Klugheit und EInfühlungsvermögen, lockert die Ernsthaftigkeit der Situation allerdings mit schwarzem Humor auf. So wird “Alles wird gut” meines Erachtens zu seinem sehr besonderen Leseerlebnis, bei dem ich ständig zwischen “Ja, kenn ich.” und “Ich hasse Menschen.” schwankte. Diese ambivalenten Gefühle beim Lesen haben mir ausgesprochen gut gefallen.

Mein Fazit:

“Alles wird gut” von Nina Lykke ist eine Leseempfehlung für alle mit schwarzem Humor, die Gefallen an einer unperfekten Protagonistin finden, die mit ihrer bissigen Sicht auf das Leben, die Menschen und ihre Beziehungen zueinander zum Schmunzeln und Reflektieren einlädt. Ich werde nun definitiv noch Nina Lykkes ersten Roman “Aufruhr in mittleren Jahren” lesen.

 
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