|Rezension| Auf immer verbunden – Domenico Starnone
Cover und Titel werden dem Roman nicht gerecht
„Wie lieb ihr doch alle uns Frauen gegenüber seid. Ihr habt drei große Ziele im Leben: uns vögeln, uns beschützen und uns verletzen.“ (S.168)
Worum geht´s?
Vanda und Aldo können auf ein langes gemeinsames Leben zurückblicken, auch wenn sie nicht immer glücklich waren. Wie bei vielen Paaren erstickte auch ihre Beziehung irgendwann in Routinen. Als Aldo dann die jüngere Lidia kennenlernt, scheint die Ehe endgültig zerbrochen. Doch die neue Liebe kann die Bande, die die Kinder geknüpft haben, nicht lösen, und so kehrt Aldo nach Hause zurück. Inzwischen sind seit dem Bruch Jahrzehnte vergangen, und die Wunden der einstigen Verletzungen scheinen geheilt – bis zu jenem Tag, als die alte Narbe plötzlich schmerzhaft aufbricht …
Was ist wichtig im Leben, was hält Paare wirklich zusammen, auch wenn die Liebe schon längst vergangen ist? Ein schonungslos ehrlicher und zugleich ungemein berührender Roman darüber, was uns eine Ehe abverlangt – und was sie uns schenkt.
(Quelle: https://www.randomhouse.de/Buch/Auf-immer-verbunden/Domenico-Starnone/DVA-Belletristik/e533051.rhd)
Mein Eindruck
Selten hatte ich zu 176 Seiten so viel zu sagen wie im Fall von “Auf immer verbunden”. Diesen italienische Kurzroman, der Antworten auf die Fragen “Was ist wichtig im Leben, was hält Paare zusammen, auch wenn die Liebe schon längst vergangen ist?” geben soll, wollte ich nämlich nach den ersten 20 Seiten eigentlich abbrechen.
Untergliedert ist der Roman in drei Teile, wobei der erste aus Briefen der Ehefrau Vanda an ihren Ehemann Aldo, der sie und die zwei gemeinsamen Kinder wegen einer jüngeren Frau verlassen hat. In diesen Briefen werden alle Klischees der betrogenen Ehefrau bedient. Sie beschimpft ihn, sie fleht ihn an, zurückzukommen; sie versucht ihn emotional zu erpressen, indem sie ihm schildert wie sehr die Kinder unter dem Weggang des Vaters leiden. All diese Klischees hätten mich noch nicht mal gestört. Was mich immens gestört hat, war die Tatsache, dass die Sprache gekünstelt und die Briefe unglaubwürdig wirkten, weil sie zu viele Details (für den Leser) enthielten, die man an den Adressaten nicht schreiben würde, weil er das natürlich alles selbst weiß. Wenn ich etwas wirklich nicht leiden kann, dann sind es Romane, die nicht authentisch sind, weshalb ich versucht war, das Buch abzubrechen. Da man 176 Seiten aber recht zügig lesen kann, wollte ich Domenico Starnone noch eine Chance geben und zumindest bis zum Beginn des zweiten Teils durchhalten.
Zum Glück! Denn ab dem zweiten Teil, in dem Aldo als Ich-Erzähler zu Wort kommt, war ich von der Geschichte gebannt und habe sie an einem Tag zu Ende gelesen. Aldos Sicht der Dinge ist so viel differenzierter und glaubwürdiger als die Briefe seiner Frau. Er beschreibt die Glücksgefühle, die ihm die Beziehung mit Lidia (der “Affäre”) beschert, ebenso authentisch wie die Schuldgefühle seiner Frau und seinen Kindern gegenüber. Während zu Beginn das Glücksgefühl alles andere überwiegt, wendet sich das Blatt mit der Zeit und es wird schnell deutlich, dass es eben nicht so einfach ist, ein Familienleben gegen eine jüngere, ungebundene Frau einzutauschen.
Richtig interessant wird es ab dem Zeitpunkt als Aldo nach fünf Jahren Beziehung mit Lidia zu Vanda und den Kindern zurückgekehrt. In der Retrospektive erzählt er 30 Jahre später wie seine oberflächlich gekittete Ehe im Inneren brodelt. Mit psychologischen Feingefühl widmet er sich seinen Figuren, ergreift dabei nie Partei, sondern überlässt es dem Leser, sich sein Urteil zu bilden. Der sehr direkte und eindringliche Schreibstil Starnones kommt im zweiten Teil erst richtig zur Geltung und verleiht dem Geschilderten zusätzlich Nachdruck. Der ehrliche und ungeschönte Blick in die Abgründe eines Ehelebens macht diesen Roman trotz einer latent tragikomischen Note zu keiner leicht verdaulichen Lektüre, weshalb ich sowohl das Cover als auch den deutschen Titel für diese Geschichte als unpassend empfinde, weil beides in Kombination eine rührende Liebesgeschichte vermuten lässt. Der italienische Titel, dessen 1:1 Übersetzung “Schnürsenkel” bedeutet, wirkt im Deutschen natürlich erst einmal befremdlich, ist aber, vor allem wenn man den Roman gelesen hat, perfekt gewählt.
im dritten und letzten Teil rückt Starnone die mittlerweile erwachsenen Kinder von Aldo und Vanda in den Mittelpunkt des Geschehens. Mit einem völlig überraschenden und tragikomischen Ende wird die Geschichte durch diese dritte Perspektive meiner Meinung nach perfekt abgerundet.
Mein Fazit:
Don’t judge a book by it’s cover and page number! Domenico Starnone gelingt es auf gerade einmal 176 Seiten einen aufwühlenden und authentischen Eheroman abzuliefern, der mich nach anfänglichen Startschwierigkeiten nicht mehr losgelassen hat und auch Tage nach dem Lesen noch nachwirkt. Er lässt den Leser dabei mit einer angenehmen Distanz tief in die Höhen (weniger) und Tiefen (mehr) des Ehelebens blicken und überrascht außerdem mit einem genialen Schlussteil, der dem Roman die Krone aufsetzt. Absolute Leseempfehlung!