|Rezension| Das Umgehen der Orte – Fabian Hischmann

von | Jul 7, 2017 | 0 Kommentare

Das Umgehen von Tiefe

Verlag: Berlin Verlag
Gebundene Ausgabe: 18,00 Euro
Ebook: 14,99 Euro
Erscheinungsdatum: 12.01.2017
Seiten: 208

„Ich nenne unseren Dad seit der Scheidung beim Vornamen. Er ging fremd, er ist schuld. Er ist Andrew, nicht Dad.“ (S.81)

Worum geht´s?

Lisa friert nicht. Sie kann es einfach nicht. Schwitzen dafür umso mehr. In den Sommermonaten flüchtet sie ins Eisstadion und stellt sich vor, es hätte sie noch weitaus schlimmer treffen können als in Südwestdeutschland. Etwa in Bangkok oder Miami. Und dann zieht Anne ins Nachbarhaus, ein Anti-Mädchen mit Gletscheraugen und einem Plan im Gepäck… Wie Lisa und Anne sind alle Figuren in »Das Umgehen der Orte« Geheimnisträger, deren Wege sich kreuzen und Schicksale aufeinanderprallen. Einige trägt es hinaus in die Welt, nach Melbourne oder auf die Westmännerinseln, andere zieht ihre Last bis auf den Grund. Was zählt sind Freunde – die Familie, die man sich aussucht, wie es heißt. Mit ihnen teilt man alles: Träume, Ängste, die miesen Momente und die richtig guten.

Cover und Titel

Bei diesem Buch waren es weder der kryptische Titel, noch das unscheinbare Cover, die mich neugierig auf den Inhalt gemacht haben, sondern der Klappentext, der lediglich aus einem kurzen Zitat besteht: “Wir waren lange genug still, findest du nicht? Lass uns reden!”. Ich kann gar nicht genau beschreiben was daran genau mich angesprochen hat, aber irgendwie hörte sich das klug und spannend zugleich an.

 

Mein Eindruck

Zugegeben: Fabian Hirschmanns Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig. Ich brauchte etwas Zeit mich an diesen Stil von aneinandergereihten Episoden in kurzen Abschnitten und ebenso überschaubaren Sätzen zu gewöhnen. Aber als ich das Konzept dahinter verstanden und verinnerlicht hatte, war ich sehr angetan von der Originalität seines Stils.

Dieser Roman, der vermutlich schon als solcher gilt, liest sich eher wie eine Sammlung von Kurzgeschichten, die zwar einen roten Faden haben, aber letztlich doch jede für sich steht. Wer also auf einen zusammenhängenden Schmöker hofft, in dem man stundenlang versinken kann, wird vermutlich enttäuscht. Vielmehr kann und sollte man “Das Umgehen der Orte” in kleinen Portionen konsumieren und genießen.

Erzählt wird eine komplexe Geschichte über das Erwachsenwerden, die Suche nach der eigenen Identität und nach Liebe, mit nicht nur einem Protagonisten, sondern mehreren, bei denen es manchmal schwer fiel, den Überblick zu behalten. Auf die Darstellung der klassischen Dramen in dieser Lebensphase verzichtet Fabian Hischmann. Stattdessen lässt er Vieles nur anklingen, dem Leser Raum für eigene Interpretationen und seinen Figuren die Möglichkeit sich langsam zu entwickeln. Der Ton des Romans ist bewusst lakonisch, das Verhältnis des Autors zu seinen Figuren distanziert, was sicher nicht jedermanns Sache ist, aber dieser Geschichte ihren besonderen Reiz verleiht. Hischmann scheut sich nicht vor Themen wie Homosexualität, Einsamkeit und Identitätskrisen, sondern spricht eben all diese Themen, die vor allem Jugendliche bewegen, auf sehr klischeefreie und sensible Weise an.

Manchmal hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass die Geschichte zu sehr vom Wesentlichen abschweift, aber in vielen dieser Fälle haben bestimmte Randnotizen und Kleinigkeiten später einen Sinn ergeben. Daran zeigt sich wie unglaublich gut konstruiert dieser Roman ist – manchmal wirkt er aber auch zu konstruiert und zu komplex.

Mein Fazit:

Auch wenn “Das Umgehen der Orte” sicher kein Roman ist, den ich ein weiteres Mal lesen werde, bereue ich es nicht, ihn gelesen zu haben. Auch wenn der rote Faden der Geschichte an sich nicht originell zu sein scheint- es geht um das Erwachsenwerden und das Suchen und Finden von Liebe, ist die Art wie Fabian Hischmann darüber schreibt wahnsinnig klug und angenehm zu lesen. An mancher Stelle hätte ich mir weniger Verfransungen und mehr Tiefe gewünscht, lesenswert ist dieser Roman aber dennoch.

 

Vielen Dank an den Hanser Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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