|Rezension| Der andere Mann. Die große Liebe der Simone de Beauvoir – Katja Kulin

von | Jun 19, 2021 | 0 Kommentare

Manchmal reicht Liebe allein nicht…

Verlag: DuMont
Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 14,99 Euro
Erscheinungsdatum: 12.03.2021
Seiten: 336

„Und manchmal, wenn er kurz vor dem Wegdämmern war, müde vom Tag und ein bisschen betrunken, dann sprach er zu ihr wie zu sich selbst: leise, verträumt und wie aus der Ferne, manchmal schnell und verwaschen, manchmal mit langen Pausen zwischen den einzelnen Wörtern. Diese Momente gaben ihr das Gefühl einer Intimität, die sich mit keinem Sex der Welt erreichen ließ. Dann schlichen sich dumme Gedanken wie dieser in ihr Herz: So müsste es immer sein.“ (S.278)

Inhalt

In ihrem biografischen Roman ›Der andere Mann‹ beleuchtet Katja Kulin die vielleicht widersprüchlichsten Jahre im Leben der französischen Ausnahmeautorin Simone de Beauvoir. Ihr berühmtestes Werk ›Das andere Geschlecht‹ entsteht Ende der 1940er-Jahre, während sie gleichzeitig erstmals eine Beziehung mit beinahe klassischer Rollenverteilung lebt.
Es ist die Liebesgeschichte mit dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren, dem anderen Mann im Leben der Simone de Beauvoir neben Jean-Paul Sartre. Als er sich wünscht, dass Beauvoir zu ihm nach Chicago zieht und ihn heiratet, weist sie dies zurück. Nicht nur wegen Sartre will sie Paris nicht verlassen, sondern auch um ihrer Arbeit willen, in der sie den Sinn ihres Lebens und die Chance sieht, gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg zu bringen. Ihre Liebe muss letztlich scheitern, doch Algrens Ring wird Simone de Beauvoir bis zu ihrem Tod nicht mehr ablegen.

Mein Eindruck

Hört man den Namen “Simone de Beauvoir” denkt man ganz automatisch auch an Jean-Paul Satre. Von Nelson Algren hingegen – dem anderen Mann – haben wohl bisher die wenigsten gehört. Der Fakt, dass es im Leben der berühmten Feministin noch eine andere Liebe als Jean-Paul Satre gab, hat mich neugierig auf den biografischen Roman von Katja Kulin gemacht. 

Eins vorweg: Auch wenn man kein gesteigertes Interesse am Leben der Simone de Beauvoir, dafür aber an echten, zu Herzen gehenden Liebesgeschichten hat, kann man bedenkenlos zu diesem Roman greifen, der neben den biografischen Fakten eben vor allem eines ist: eine traurig-schöne Liebesgeschichte. 

Spannend an dieser Liebe ist vor allem die Tatsache, dass sie ihre Hochphase ausgerechnet dann hatte, als Simone de Beauvoir auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war. Ihr berühmtestes, feministisches Werk “Das andere Geschlecht” entsteht in dieser Zeit als sie neben der auf einer intellektuellen Basis fundierten Beziehung zu Satre erstmals eine (Fern-)Beziehung mit beinahe klassischer Rollenverteilung lebt. Sie lernt Nelson Algren auf einer Amerika-Reise kennen – auf beiden Seiten ist die Anziehung so stark, dass sie ihr nicht widerstehen können und wollen. Aus der ersten stürmischen Verliebtheit der ersten Tage resultiert eine Fernbeziehung über Jahre. Mehrere Male reist de Beauvoir für mehrere Tage oder Wochen in die USA, bleibt entweder bei Nelson in Chicago oder reist mit ihm durch Europa. Als er sie bittet, zu ihm zu ziehen, lehnt sie entschieden ab – sie hat Satre ein Versprechen gegeben und will auch ihre Karriere nicht seiner unterordnen. Sie möchte in Frankreich etwas bewegen und das kann sie nur vor Ort. So sind die beiden Liebenden schnell an dem Punkt, ihre Beziehung und deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen.

Erzählt und reflektiert wird die Geschichte abwechselnd aus Algrens und de Beauvoirs Perspektive, so dass der Leser bzw. die Leserin einen umfassenden Eindruck der Geschehnisse bekommt. Unterteilt ist der Roman in zeitliche Abschnitte, so dass eine Chronologie ihrer Liebe mit Schwerpunkt auf den Begegnungen der Beiden liegt.

In den Phasen der räumlichen Trennung schreiben sie sich Briefe, in denen sie sich als Ehemann und Ehefrau bezeichnen und sich immer wieder gegenseitig ihre Liebe und Sehnsucht versichern. Zu Beginn verdrängen beide die Tatsache, dass eine gemeinsame Zukunft undenkbar scheint. Zum Ende hin werden die Zweifel und Unzufriedenheiten auf beiden Seiten immer lauter.

Und so ist “Der andere Mann” nicht nur ein spannender Einblick in das Leben Simone de Beauvoirs, der eine ganz andere Seite der Schriftstellerin zeigt, die gemeinhin bekannt ist, sondern auch eine klassische Liebesgeschichte mit vielen Hochs, aber auch einigen Tiefs. Der Klappentext des Buches verrät bereits, dass den Beiden leider kein Happy End vergönnt ist. Aber gerade das zeichnet diesen Roman aus: Es ist eine authentische Liebe, ganz ohne Hollywood-Glamour, dafür mit intensiven Gefühlen und zwei interessanten, vielschichtigen Charakteren.

Der Roman zeigt deutlich wie intensiv sich Katja Kulin mit dem Menschen Simone de Beauvoir auseinandergesetzt hat. Dies ist keine oberflächliche Allerwelts-Liebesgeschichte, sondern ein autobiografischer Roman, der auch die Ideen und (politischen) Ansichten de Beauvoirs einfließen lässt – auf eine latente, angenehme Weise, die Lust darauf macht, sich intensiver mit den Werken der Autorin auseinanderzusetzen.

Mein Fazit:

Die Liebesgeschichte von Simone de Beauvoir und Nelson Algren ist ein authentisches und zutiefst menschliches Beispiel dafür, dass trotz intensiver, großer Gefühle auf beiden Seiten Liebe allein manchmal nicht ausreicht, um miteinander glücklich zu werden. Sie zeigt aber auch, dass es sich trotzdem lohnt, diese Liebe zu leben. Wie Katja Kulin uns an der Liebesbeziehung der Beiden teilhaben lässt, ist einmalig. Eine exzellente Recherche und ein ansprechender Schreibstil bescheren ein anspruchsvolles und unterhaltsames Lesevergnügen. “Der andere Mann” ist nicht nur ein Roman für Fans der weltberühmten französischen Feministin, sondern auch für Fans von traurig-schönen Liebesgeschichten.

 
Vielen Dank an den Dumont Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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