|Rezension| Der größte Spaß, den wir je hatten – Claire Lombardo
Eigentlich mag ich ja keine dicken Wälzer…

„Die Ehe, hatte sie gelernt, war ein merkwürdig vergnügliches Machtspiel, ein behutsamer Balanceakt zwischen zwei Egos im Wettstreit und Stimmungen, die nicht miteinander harmonieren. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen im Dienste der Beziehung. Sie trat in den Hintergrund und ließ seinen Stern damit umso heller strahlen. Sie durfte Selbstvertrauen und Freude nur zeigen, um Verzagtheit und Pessimismus auf seiner Seite auszugleichen. Und wenn ihm alles über den Kopf wuchs, hatte sie Pause, was Sorgen anging.“ (S.249)
Inhalt
Wie hält man das Glück der eigenen Eltern aus?
Vierzig glückliche Ehejahre: Für die vier erwachsenen Sorenson-Schwestern sind ihre Eltern ein nahezu unerreichbares Vorbild – und eine ständige Provokation! Wendy, früh verwitwet, tröstet sich mit Alkohol und jungen Männern. Violet mutiert von der Prozessanwältin zur Vollzeitmutter. Liza, eine der jüngsten Professorinnen des Landes, bekommt ein Kind, von dem sie nicht weiß, ob sie es will. Und Grace, das Nesthäkchen, bei dem alle Rat suchen, lebt eine Lüge, die niemand ahnt. Was die vier ungleichen Schwestern vereint, ist die Angst, niemals so glücklich zu werden wie die eigenen Eltern. Dann platzt Jonah in ihre Mitte, vor fünfzehn Jahren von Violet zur Adoption freigegeben. Und Glück ist auf einmal das geringste Problem.
Mein Eindruck
Eigentlich mag ich ja keine dicken Wälzer, aber „Der größte Spaß, den wir je hatten“ wurde mir sehr ans Herz gelegt (Danke, Thomas!) und der Klappentext klang vielversprechend. Bisher habe ich tatsächlich noch nie ein Buch dieses Umfangs von der ersten bis zur letzten Seite gelesen. Entweder habe ich es abgebrochen oder ich habe stellenweise nur quer gelesen und Seiten übersprungen. Ich hatte immer das Gefühl, die Story würde künstlich in die Länge gezogen und wäre mit 200 Seiten weniger erträglicher gewesen.
Die Tatsache, dass ich Claire Lombardos Debütroman nicht nur zu Ende, sondern auch jedes einzelne Wort davon gelesen habe, spricht also bereits für sich. Was hat dieser dicke Wälzer aber, was andere dicke Wälzer scheinbar nicht haben? Vereinfacht gesagt: Claire Lombardo hat wirklich etwas zu erzählen! Kein Wort ist zu viel, keine Nebenhandlung überflüssig, keine Figur verzichtbar. Ihr Familienepos über Marilyn und David sowie ihre vier erwachsenen Töchter hat Suchtcharakter wie eine Netflix-Serie. Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Autorin gerade einmal 30 Jahre alt ist, denn beim Lesen hat man eher das Gefühl, man liest hier die Autobiografie einer Frau mit wahnsinnig viel Lebenserfahrung. Alle Themen, die verarbeitet werden, wirken so authentisch als hätte sie diese selbst erlebt: Sie schreibt von der Schwierigkeit, eine Ehe über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten, von Geheimnissen, Geständnissen, Affären, einer heimlichen Schwangerschaft mit Adoption, aufgegebenen beruflichen Träumen, der Suche nach der eigenen Berufung und über verschiedenste Paarbeziehungen, die alle mehr schlecht als recht funktionieren. Diese Themen werden geschickt miteinander verknüpft; dem Plot durch einen stetigen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart zusätzlich Spannung verliehen.
Dieser Roman lebt aber nicht nur von seinen vielfältigen Themen, sondern auch von seinen starken Figuren. Ich kann mir wirklich nie Namen merken, aber die Namen der sieben Hauptcharaktere dieses Buches habe ich auch zwei Wochen nach Beendigung des Buches noch im Kopf, genauso wie ihre charakterlichen Eigenheiten, die Claire Lombardo immer mit einer Prise Ironie beschreibt. Hier gibt es keine Helden und Antihelden. Hier gibt es echte Menschen mit echten Problemen. Das Problem, welches die vier Töchter von Marilyn und David gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass ihre Eltern scheinbar seit 40 Jahren eine beängstigend glückliche Ehe führen und es den Töchtern unmöglich scheint, in ihre Fußstapfen zu treten. Jede von ihnen hat insgeheim das Gefühl, ihr Leben gegen die Wand zu fahren, versucht aber bestmöglich den Schein vor ihren Schwestern und Eltern zu wahren. Man kann sich denken, dass das nicht lange gut geht.
Wie pointiert und raffiniert die Autorin die Psyche ihrer Figuren auseinandernimmt und für den Leser seziert und ihm dabei aber genug Raum gibt, sich seine eigene Gedanken zu machen, hat mich nicht nur bestens unterhalten, sondern auch tief beeindruckt. Auch die eindrucksvolle Komplexität von “Der größte Spaß, den wir je hatten” macht diesen Familienroman zu einem besonderen Lesevergnügen.
Mein Fazit:
Claire Lombardos Debütroman “Der größte Spaß, den wir je hatten” ist eines dieser Bücher, bei dem man nicht umhin kommt, sämtliche Superlative zu benutzen. Für mich ist es der beste Familienroman, den ich jemals gelesen habe. Es ist der erste Roman mit mehr als 500 Seiten, den ich überhaupt zu Ende gelesen habe und einer der wenigen, an dessen Figuren man sich auch lange Zeit nach der Lektüre noch erinnert. Der leicht ironische Titel steht sinnbildlich für den Ton des gesamten Epos, das sich so leicht lesen lässt wie sich eine gute Netflix Serie schauen lässt. Ich bin ab sofort ein Claire Lombardo Fangirl und möchte bitte noch ganz viel von ihr lesen.