|Rezension| Kleine Feuer überall – Celeste Ng
Celeste Ng – diesen Namen sollte man sich merken!
„Ihr ganzes Leben hatte sie gelernt, dass Leidenschaft, genauso wie Feuer, gefährlich war, leicht außer Kontrolle geriet, Wände hochkletterte und Gräben übersprang. Funken hüpften wie Flöhe und verbreiteten sich genauso schnell; ein Windhauch konnte Glutasche meilenweit tragen. (…) Es kam einzig darauf an, dachte sie, einen Flächenbrand zu vermeiden.“ (S.185f.)
Worum geht´s?
Es brennt! In jedem der Schlafzimmer hat jemand Feuer gelegt. Fassungslos steht Elena Richardson im Bademantel und den Tennisschuhen ihres Sohnes draußen auf dem Rasen und starrt in die Flammen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie die Erfahrung gemacht, »dass Leidenschaft so gefährlich ist wie Feuer«. Deshalb passte sie so gut nach Shaker Heights, den wohlhabenden Vorort von Cleveland, Ohio, in dem der Außenanstrich der Häuser ebenso geregelt ist wie das Alltagsleben seiner Bewohner. Ihr Mann ist Partner einer Anwaltskanzlei, sie selbst schreibt Kolumnen für die Lokalzeitung, die vier halbwüchsigen Kinder sind bis auf das jüngste, Isabel, wohlgeraten. Doch es brennt. Elenas scheinbar unanfechtbares Idyll – alles Asche und Rauch?
Quelle: https://www.dtv.de/buch/celeste-ng-kleine-feuer-ueberall-28156/
Mein Eindruck
Bereits mit ihrem Debüt “Was ich euch nicht erzählte” hat Celeste Ng bewiesen, welch großartige Autorin sie ist. Sie konnte mich durch eine originelle Geschichte und eine durchgehende subtile Spannung vollends überzeugen. Umso gespannter war ich, ob ihr das auch mit ihrem zweiten Roman “Kleine Feuer überall” gelingen wird.
Thematisch dreht sich auch in dieser Geschichte alles um Familien und deren Hinter- bzw. Abgründe. Die Autorin stellt hier zwei Familien gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Ein beruflich erfolgreiches Ehepaar mit vier Kindern in der perfekt durchstrukturierten Kleinstadt und die alleinerziehende vagabundierende Künstlerin, die das erste Mal mit ihrer Tochter sesshaft wird. Die Konflikte beim Aufeinandertreffen dieser beiden gegensätzlicher Lebensentwürfe stehen im Vordergrund von “Kleine Feuer überall”. Es geht um das Streben nach Perfektion, wie sehr man sich selbst zurücknehmen muss/darf/sollte, um die herrschenden Konventionen zu erfüllen. Es geht um lebensverändernde Entscheidungen und soziale Identitäten.
Wieder einmal zieht sich die Spannung subtil durch die Geschichte, bei der die Katastrophe nicht nur vorprogrammiert ist, sondern sogar bereits auf den ersten Seiten vorweggenommen wird und im Folgenden geschildert wie es dazu kommen könnte. Auch wenn man nun meinen könnte, dass der Geschichte dadurch der klassische Spannungsbogen fehlt, kompensiert die Autorin das geschickt durch das wahnsinnig differenzierte und scharfe Psychogramm ihrer Figuren, dem sie sich mit sehr viel Empathie und Einfühlungsvermögen widmet.
Großartig finde ich außerdem wie sie dem Leser Raum für Interpretationen und eigene Gedanken lässt, trotzdem aber an anderer Stelle Situationen so detailliert beschreibt, dass man ein klares Bild vor Augen hat. Dieses Phänomen ist mir bisher bei keiner anderen Autorin so deutlich aufgefallen und ich liebe es! Keine Seite dieses Romans ist zu viel – alles ist auf den Punkt perfekt konstruiert ohne je bemüht zu wirken.
Das Ende des Romans rundet die Geschichte auf eine sehr stimmige Weise ab – es verrät nicht zu viel, aber gerade genug, um das Buch nicht unbefriedigt zuklappen zu müssen.
Mein Fazit:
Mit “Kleine Feuer überall” hat Celeste Ng einen vielschichtigen, spannenden und auf ganzer Linie überzeugenden Roman geschrieben, der seinem Vorgänger “Was ich euch nicht erzählte” definitiv das Wasser reichen kann und ihn sogar noch ein klein wenig übertrumpft. Es handelt sich hier um eine meisterlich konstruierte Familiengeschichte, die durch ein tiefenscharfes Psychogramm der Figuren und einen einzigartig subtilen Erzählstil besticht. Dieses Buch sollte man gelesen haben!