|Rezension| Im Prinzip ist alles okay – Yasmin Polat
Schonungslos ehrlich und mit gutem Humor
„Diese Normalität in der Krise ist vielleicht das Gefühl meiner Kindheit. Und das dauert bis heute an. Manchmal frage ich mich, ob ich mich so sehr an das Damoklesschwert über dem Kopf gewöhnt habe, dass ich – sobald ich alleine wohnte und sicher und glücklich mit Diego im Urlaub war – in mich zusammengefallen bin.“ (S.74)
Inhalt
Miryam ist dreißig Jahre alt und vor wenigen Monaten Mutter geworden. Auf der Party einer alten Bekannten strahlt sie mit ihrem weißen T-Shirt um die Wette. Aber ist wirklich alles gut? Seit der Geburt ihres Kindes ist Miryam von Selbstzweifel geplagt. Sie kann nicht stillen, leidet an postnatalen Depressionen und versucht trotzdem alles richtig zu machen. Getrieben von der Scham über ihre Herkunftsfamilie und aus Angst, ihre gewaltvolle Kindheit zu wiederholen, tut sie alles, um so heil zu wirken wie die Mütter aus ihrem Umfeld und Instagram-Feed. Sie postet weichgefilterte Selfies von sich und ihrem Kind, informiert sich zu bedürfnisorientierter Erziehung und gesunden Beikost-Snacks. Doch Miryam zieht sich immer mehr zurück. Auch online findet sie keinen richtigen Austausch. In den sozialen Medien wird zwar vieles besprochen, nicht aber die eigenen Familientraumata, die möglicherweise wieder auftauchen, sobald man selbst Mutter wird.
Mein Eindruck
Es ist wirklich schade, dass Bücher aus kleineren Verlagen nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen wie die Bücher aus den großen Publikumsverlagen. “Im Prinzip ist alles okay” habe ich bisher in keiner Buchhandlung liegen sehen, sondern es ist mir mehrfach bei Instagram begegnet. Titel und Cover haben mich sofort angesprochen, die Inhaltsangabe hat den ersten Eindruck dann noch verfestigt und ich bin total glücklich, dass mich auch die inneren Werte des Romans überzeugen konnten.
Das war mir bereits klar als ich “nur mal kurz reinlesen” wollte und dann schon die ersten 40 Seiten gelesen hatte. Man spürt bereits auf den ersten Seiten wie viel Herz Yasmin Polat in ihre Geschichte von Miryam gesteckt hat. Miryam ist eine Frau, mit der ich gern befreundet wäre, alleine wegen ihres großartigen Humors: “Hier im Park findet gleich eine Hochzeit statt, und ich habe Salat mit Buchweizen dabei. Buchweizen! Wer bin ich eigentlich geworden, dass ich mit einem Getreide-Salat auf Hochzeiten antanze?”
Der Titel des Buches fasst Miryams Leben perfekt zusammen, jedenfalls, wenn man von außen drauf schaut: Sie hat nach einer traumatischen Kindheit und einer toxischen Beziehung mit Anfang 30 das, was sich viele Menschen wünschen: eine eigene kleine Familie mit Kind und dazugehörigem Vater. Soweit so gut. Bloß ist ihr Partner, der sich doch auch ach so toll um das Kind kümmert, ein notorischer Lügner, ihre eigene Kindheit von häuslicher Gewalt geprägt, was aber rückblickend außer ihr kein Familienmitglied mehr schlimm findet. Sie soll doch endlich die Vergangenheit ruhen lassen und nach vorne schauen. Schließlich leben doch noch alle. Und überhaupt soll sich Miryam mal nicht so anstellen und lieber dankbar sein für das, was sie hat.
Yasmin Polat zeigt ehrlich und ohne etwas zu beschönigen wie man als erwachsener Mensch gewillt sein kann, Kindheits-Traumata aufzuarbeiten, weil man sich seiner eigenen Unzulänglichkeiten sehr wohl bewusst ist, aber wie schwer das ist, wenn man damit auf sich allein gestellt ist und im Umfeld nur auf Unverständnis stößt. Sie beschreibt hier auf eine schmerzlich schöne Art den Weg einer Selbstfindung und sucht zusammen mit ihrer Protagonistin Antworten auf die Fragen, ob man sich selbst lieben muss, um von anderen geliebt werden zu können und ob man verzeihen muss, um seinen inneren Frieden zu machen.
Wie sie die ersten Monate mit Baby beschreibt, die Unzulänglichkeiten, die man spürt, die Vergleiche, die man mit anderen Müttern zieht, wie man sich die Tage in Abschnitte einteilt, um sie irgendwie zu überstehen, sind Zustände, die vermutlich viele Mütter (mich eingeschlossen) nachempfinden können. Aber auch wie die innerfamiliären Strukturen – die Beziehung der Protagonistin zu ihren Eltern, ihrem Bruder und zu ihrer Schwiegermutter – beschrieben werden, hat Vieles in mir getriggert. Nichts davon wirkt konstruiert oder überdramatisiert.
Dass Miryam Topal ein Anagramm von Yasmin Polat ist und dass die Autorin meine (gewonnene) Ausgabe des Buches mit den Worten “In diesem Buch steckt alles was ich habe.” signiert hat, bedarf keiner großen Interpretationskunst, wie viel Autobiografisches in diesem Roman steckt. Deshalb: Yasmin Polat, möchtest du meine Freundin sein?
Mein Fazit:
“Im Prinzip ist alles okay” ist eines dieser Bücher, das beim Lesen weh tut. Es steckt so viel schmerzhafte Wahrheit darin, dass es mit Sicherheit keine Wohlfühllektüre ist, auch wenn Yasmin Polat einen feinen Humor hat, der Vieles ein bisschen abmildert. Ich bin sehr froh, diesen Roman entdeckt zu haben und freue mich jetzt schon auf das nächste Werk der Autorin. Klare Leseempfehlung für Freunde der unbequemen Themen.