|Rezension| Heimat – Hannah Lühmann
Die Verführung der Idylle

„Es würde ihr nicht schwerfallen, sich um die Kinder zu kümmern, wenn klar war, dass es ihre Aufgabe war. Was sie belastet hatte, war, dass Noah da gewesen war und doch nicht, dass er sich hätte kümmern können und es nicht getan hat.“ (S.91)
Inhalt
Hinter der perfekten Idylle lauert die »Tradwife«-Szene – Hannah Lühmanns Roman über ein virales Thema und den Rechtsruck in unserem Land
Als Jana mit ihrer Familie aufs Land zieht, merkt sie schnell: Hier gelten andere Regeln. Hinter der bürgerlichen Fassade lauert ein höchst problematisches Weltbild, wie selbstverständlich wird hier AfD gewählt. Auch Janas charismatische Nachbarin Karolin hat sich ganz der Rolle als Hausfrau und Mutter verschrieben. Je mehr Zeit Jana mit Karolin verbringt, desto klarer wird ihr, dass sie auf eine sehr zeitgemäße Weise ultrakonservativ ist – sie kämpft als »Tradwife« im Namen der Tradition gegen alles, wofür Jana eigentlich steht. Jana versucht, sich gegen ihre Faszination zu wehren, und ertappt sich doch immer wieder bei dem verstörenden Gedanken, dass sie Karolin um ihr Leben beneidet…
Mein Eindruck
Als ich das erste Mal auf Instagram ein Video einer Tradwife-Influencerin aus den USA sah, war ich überzeugt, dass es sich um Satire handeln musste. Bis dahin war dieser „Trend“ (man kann nur hoffen, dass es sich “nur” um einen Trend handelt!) komplett an mir vorbeigegangen. Umso gespannter war ich dann auf Hannah Lühmanns Roman “Heimat”, der sich genau mit diesem Phänomen auseinandersetzt – allerdings nicht in den USA, sondern hier in Deutschland.
Im Zentrum steht Jana, die schwanger mit dem dritten Kind zusammen mit ihrem Mann in eine Kleinstadt zieht. Ihr Mann ist beruflich stark eingespannt, sie selbst steht als Mutter an der Belastungsgrenze. Halt findet sie zunächst in den perfekt inszenierten Posts der Tradwife-Influencerin Karolin, die im gleichen Ort wie sie wohnt: fünf (!) glückliche Kinder, fröhliche Ausflüge in die Natur, selbstgebackener Kuchen, harmonische Familienurlaube. Was idyllisch wirkt, entpuppt sich jedoch als Einfallstor in eine Szene, die nicht nur nach klaren Geschlechterrollen und traditionellem Familienleben ruft, sondern auch politisch gefährliche Ideologien transportiert. Lühmann zeigt eindrücklich, wie schnell eine „ganz normale Frau“ über soziale Medien in diese Strömung hineingezogen werden kann – fasziniert einerseits, aber schon noch reflektierend, dass dem etwas Unheimliches zugrunde liegt. Das Tradwife-Ideal inszeniert sich als Ort von Geborgenheit und Ordnung, führt aber zugleich in die Falle traditioneller Abhängigkeiten.
Besonders stark ist, wie Lühmann Janas langsame Verwandlung erzählt. In kleinen Episoden spürt man, wie sie Schritt für Schritt ihre kritischen Gedanken verdrängt. Gerade diese „Anti-Entwicklung“ der Protagonistin macht den Roman so unheimlich: zu sehen, wie eine intelligente Frau sich jeder Auseinandersetzung verweigert, und dadurch in eine gefährliche Nähe zu rechtsradikalen Strömungen gerät.
So gelungen die Grundidee ist, ganz überzeugt hat mich das Buch nicht. Der Klappentext verspricht etwa, dass Karolins inszenierte Familienidylle bei näherem Hinsehen Risse bekommt. Dieser Aspekt wird zwar immer wieder angedeutet, aber nie wirklich ausgeführt. Das abrupte Ende verstärkt den Eindruck, dass hier etwas Entscheidendes offenbleibt. Das Ende hat mich wirklich fertig gemacht: Ich hab wirklich kein Problem mit offenen Enden, aber das Ende war nicht nur offen, sondern absolut verwirrend.
Auch bei einigen Details habe ich gestutzt: Die Trennung von Jana und ihrem Mann wird in einem einzigen Satz abgehandelt („Ich glaube, ich will, dass wir uns trennen.“ S.109). Damit bleibt vieles an der Oberfläche. Fragwürdig erscheinen auch einige Ausführungen rund um Sozialleistungen (bekommt eine verheiratete Frau wirklich Bürgergeld nach einer Trennung, vor allem nachdem sie ihren Job gekündigt hat?) oder die Art, wie Kleinkindern die Trennung der Eltern erklärt wird, nämlich mit den Worten, dass die Eltern noch auf Elternebene zusammen sind, aber nicht mehr auf Paarebene. Bitte was? Total verständlich für kleine Kinder… Das wirkte auf mich wenig realistisch und eher unbeholfen.
Mein Fazit:
“Heimat” ist ein Roman, der eine brisante und aktuelle Thematik aufgreift. Hannah Lühmann gelingt es, die Verlockung und die Gefahr des Tradwife-Phänomens eindrucksvoll zu schildern. Gerade die schleichende Veränderung der Protagonistin ist beklemmend und macht die Lektüre spannend. Gleichzeitig bleiben einige inhaltliche Versprechen unerfüllt und vieles bleibt nur an der Oberfläche. Insgesamt ist es ein aufrüttelndes Buch mit Schwächen, das aber zum Nachdenken über Rollenbilder und die Macht sozialer Medien anregt.