|Rezension| Himmel ohne Ende – Julia Engelmann
Himmel ohne Ende – wunderschön wie ein Himmel mit Schäfchenwolken

„Ich war zu jung, um zu wissen, wie das beides ging: Am Abgrund stehen, ohne hineinzufallen. Die Liebe behalten, ohne darin zu ertrinken.“ (S.18)
Inhalt
Charlie ist fünfzehn und vermisst ihren Vater, besonders seit ihre Mutter wieder einen Mann hat. Und als ob das nicht genug wäre, hat ihre beste Freundin gerade den Jungen geküsst, in den Charlie verknallt ist. Seitdem hat es den Anschein, als befinde sich zwischen ihr und der Welt eine Glasscheibe. Und dann kommt Pommes, der eigentlich Kornelius heißt und der aus der Glasscheibe ein Autofenster macht, das man runterkurbeln und durch das Charlie ihre Hand endlich wieder in den Himmel strecken kann.
Mein Eindruck
Julia Engelmanns Poetry Slam-Debüt “Eines Tages, Baby” habe ich sehr geliebt und mir auch danach noch zwei Gedichtbände von ihr gekauft. Dann hatte ich das Gefühl, zu alt für ihre Texte zu sein. Als ich mitbekam, dass die Autorin ihren ersten Roman veröffentlicht und dann auch noch bei meinem Lieblingsverlag Diogenes war klar, dass ich dieses Buch lesen muss.
In “Himmel ohne Ende” begleiten wir die 15-jährige Charlie durch ein ganzes Jahr ihres Lebens – von einem Geburtstag zum nächsten. Es ist kein außergewöhnliches Leben, das sie führt. Kein großes Drama, keine lauten Töne. Sie lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter zusammen, kommt mit mittelmäßigen Schulnoten durchs Jahr, hält an ihrem Hamster namens Markus fest – als Anker in einer Welt, die sich zu schnell verändert. Charlies Vater hat die Familie verlassen, und seine Abwesenheit wiegt schwer. Noch schwerer wird es, als die Mutter einen neuen Mann mit nach Hause bringt. Als ob das nicht schon genug wäre, beginnt auch noch die Freundschaft zu ihrer besten Freundin langsam zu bröckeln.
Und dann kommt Pommes. Der eigentlich Kornelius heißt. Neu in der Klasse, irgendwie anders – und natürlich denkt man sofort: “Okay, jetzt wird’s romantisch. War ja klar.” Aber genau das passiert nicht. Jedenfalls nicht so, wie man es erwartet. Julia Engelmann führt uns nicht durch eine klassische Teenie-Romanze, sondern durch eine vielschichtige Coming-of-Age-Geschichte, in der das Verliebtsein zwar eine Rolle spielt, aber eben nicht im Zentrum steht. Viel wichtiger ist die Suche – nach Zugehörigkeit, nach Halt, nach sich selbst.
Charlie ist eine wunderbare Figur: verletzlich, klug, oft überfordert – aber nie kitschig oder zu glatt. Julia Engelmann zeichnet sie mit spürbarer Zuneigung und viel Verständnis. Sie nimmt uns mit in Charlies Innenwelt, lässt uns ihre Gedanken, Sorgen und kleinen Glücksmomente miterleben. Man spürt dabei immer wieder, dass die Autorin vom Poetry Slam kommt: Ihre Sprache ist poetisch, aber nicht verschnörkelt – sie ist klar, lebendig, oft voller Rhythmus und Zwischenzeilengefühl. Zeilen wie “Familie ist, wo man bleibt, obwohl man keinen Bock mehr hat.” (S. 58) oder “Wie wenig ich in den letzten Jahren gespürt hatte, begriff ich erst, als ich die Gefühlswelle sah, die auf mich zu lief und sich riesig vor mir auftürmte.” (S.88) zeigen, wie mühelos es der Autorin gelingt, komplexe Emotionen in eindringliche Bilder zu fassen – schnörkellos, aber tief, mit einem feinen Gespür für Zwischentöne und inneres Erleben.
Ich fragte mich beim Lesen, wie junge Leserinnen und Leser dieses Buch erleben. Fühlen sie sich gesehen? Wird da jemandem eine Stimme geliehen, der sie selbst ähnelt? Oder ist Charlies Blick auf das Teenagerleben zu stark geprägt vom Abstand einer erwachsenen Autorin? Für mich jedenfalls wirkte die Figur echt – mit all den Unsicherheiten, den inneren Monologen, der Sehnsucht nach einem Platz in der Welt.
Mein Fazit:
“Himmel ohne Ende” ist ein warmherziges, kluges Roman-Debüt, das mich auf ganzer Linie überzeugt hat. Es ist ein Buch über das Dazwischen – zwischen Kindheit und Erwachsensein, zwischen Festhalten und Loslassen. Es steckt voller leiser Wahrheiten, liebevoller Beobachtungen und einem Grundton, der gerade in dieser Zeit gut tut: Optimismus.