|Rezension| Immer noch wach – Fabian Neidhardt

von | Feb 21, 2022 | 0 Kommentare

Ein großartiges Debüt! 

Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 15,99 Euro
Erscheinungsdatum: 10.09.2018
Seiten:  192

„Der Krebs hat alles klein gemacht. Und gerade diesen Alltag in seiner Wiederholung so wertvoll.“ (S.81.)

Inhalt

Was würdest du tun, wenn deine Zeit fast abgelaufen ist – und dann stellt jemand die Uhr zurück?

Eine schreckliche Diagnose reißt den 30-jährigen Alex mitten aus einem Leben, in dem ihm alle Möglichkeiten offenstehen. Er beschließt, die verbleibenden guten Tage mit seinen Lieblingsmenschen zu genießen, sich dann aber zu verabschieden und in ein Hospiz zu gehen. Doch dort, in seinem letzten Zimmer, steht Alex plötzlich vor einer ganz neuen Herausforderung: Wie nutzt man Zeit, die man überraschend geschenkt bekommen hat?

Mein Eindruck

Vermutlich hätte ich “Immer noch wach” nie gelesen, wenn nicht Mareike Fallwickl als eine meiner Lieblingsautorinnen auf dem Buchrücken folgendermaßen zitiert worden wäre: “‘Immer noch wach’ erzählt leichtfüßig von Schwermütigen, ist tragikomisch, gefühlvoll und voller Warmherzigkeit”- das hat mich mehr überzeugt als der Klappentext, der mir zu sehr nach einer traurigen Geschichte klang.

Traurig ist “Immer noch wach” zwar tatsächlich, aber eben auch sehr warmherzig, humorvoll und gefühlvoll. Für mich kam dieses Buch in einer Phase, in der ich ein Buch nach dem anderen anlas und wieder weglegte, genau richtig, denn Fabian Neidhardt hatte mich bereits im ersten, gerade einmal eineinhalb Seiten umfassenden, Kapitel zum Innehalten, Lachen und vor allem zum “Ich will unbedingt weiterlesen”-Gefühl gebracht. Ich mochte sehr mit wie viel Feingefühl und Humor er die Geschichte von Alex erzählt, der nach einer Krebsdiagnose beschließt, sich nicht palliativ behandeln zu lassen, sondern die Zeit, die ihm noch bleibt, mit seiner Freundin und seinem besten Freund zu nutzen und sich dann in ein Hospiz zu begeben, um die letzte Reise allein anzutreten. 

Es ist brillant wie der Autor den Leser gefühlsmäßig in alle Richtungen schubst. Fühlt man erst mit Alex mit, der seine Entscheidung, seine verbleibende Zeit nicht durch eine Behandlung zu verlängern, mit sehr guten Argumenten untermauert, führt die pure Verzweiflung seiner Freundin Lisa und seines besten Freundes Bene dazu, dass man schnell denkt “Das kannst du ihnen nicht antun! Mach eine Chemo! Los!”. Dieses emotionale Hin und Her setzt sich bis zum Ende des Romans fort, was meiner Meinung nach die große Stärke von “Immer noch wach” ist. Fabian Neidhardt nimmt den Leser mit auf Alex’ Reise, die einen oft laut lachen lässt, wenn einem noch die Tränen die Wangen hinunterlaufen. 

Sehr feinfühlig wird auch Alex’ Zeit im Hospiz beschrieben. Der Autor schreibt im Nachwort, dass er durch ein Praktikum in den Alltag eines Hospizes blicken konnte. So entstand ein authentisches und sehr bewegendes Bild der Hospizarbeit, dessen Schwere durch die besonderen Geschichten der Bewohner:innen, die Alex nach und nach kennenlernt, abgemildert wird. Besonders einprägsam war für mich der Vergleich zu einem Ferienlager – in beidem haben die “Betreuer” den Anspruch, den Menschen eine möglichst schöne Zeit zu bereiten, unterschiedlichste Typen wachsen zu einer Gemeinschaft zusammen, aus der keiner rausgeschmissen werden möchte.

Besonders emotional waren für mich auch die Episoden aus Alex’ Kindheit. Dass Fabian Neidhardt sich gegen ein lineares Erzählen entschieden hat und stattdessen immer wieder Rückblenden mit wichtigen Lebensereignissen von Alex einschiebt, ist das Sahnehäubchen von “Immer noch wach”, da der Spannungsbogen so konstant hoch gehalten wird. 

Als ich die letzte Seite des Romans gelesen hatte, habe ich das Buch an mich gedrückt und war dankbar. Dankbar für diese lebensbejahende Geschichte, dankbar für die Gefühle, die ich beim Lesen fühlen durfte und dankbar für das Leben. 

 

Mein Fazit:

Wer sich nach einem Roman sehnt, bei dessen Lektüre man mal wieder so richtig mitfühlen kann, dem sei “Immer noch wach” sehr ans Herz gelegt! Fabian Neidhardt kann nicht nur hervorragend mit Sprache umgehen, ihm gelingt es auch meisterlich, den Leser abwechselnd lachen, weinen und seufzen zu lassen. “Immer noch wach” ist eine tragikomische Geschichte über das Leben und den Tod, die ich an zwei Abenden weginhaliert habe. Danke, für dieses großartige Debüt! 

 
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