|Rezension| In einem Zug – Daniel Glattauer
“In einem Zug” – Viel Fahrt aufgenommen, aber nirgends angekommen.

„Im dritten Jahr zogen wir zusammen. Im vierten Jahr zogen wir uns zurück, aber nicht gemeinsam, sondern jeder und jede für sich.“ (S.46)
Inhalt
Eduard Brünhofer, ehemals gefeierter Autor von Liebesromanen, sitzt im Zug von Wien nach München. Nicht unbedingt in der Absicht, sich mit der Frau frühen mittleren Alters im Abteil zu unterhalten. Schon gar nicht in der Absicht, mit ihr über seine Bücher zu sinnieren. Erst recht nicht in der Absicht, über seine Ehejahre mit Gina zu reflektieren. Aber Therapeutin Catrin Meyr, die Langzeitbeziehungen absurd findet, ist unerbittlich. Sie will mit ihm über die Liebe reden. Dabei gerät der Schriftsteller gehörig in Zugzwang.
Mein Eindruck
Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“ ist mein absolutes Lieblingsbuch. Über kein anderes Buch habe ich so viel gesprochen oder es so oft empfohlen. Die E-Mail-Liebesgeschichte lebt von ihren Dialogen – witzig, klug, authentisch. Als ich die Kurzbeschreibung von Glattauers neuestem Roman „In einem Zug“ las, hoffte ich, erneut eine Geschichte zu erleben, die vor allem durch ihre Gespräche besticht.
Die Ausgangslage ist vielversprechend: Der Schriftsteller Eduard Brunhöfer sitzt im Zug von Wien nach München und wird von einer ihm gegenüber sitzenden Frau in ein Gespräch verwickelt, das ihm durch die Fragen, die ihm gestellt werden, zunehmend unangenehm wird. Die einzelnen Bahnstationen auf der Strecke geben den Kapiteln ihre Namen und lassen den Leser die Zugfahrt in Echtzeit miterleben.
Doch was als spannendes Kammerspiel mit sprachlichem Schlagabtausch beginnen könnte, bleibt leider an der Oberfläche. Glattauer hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er meisterhaft pointierte, witzige und zugleich tiefgehende Dialoge schreiben kann – doch in „In einem Zug“ fehlt genau diese Raffinesse. Die Gespräche zwischen den Protagonisten wirken oft beliebig, als würde die Handlung nur ziellos vorangetrieben, ohne dass sich eine echte Dynamik zwischen den Figuren entwickelt. Zwar gibt es humorvolle Passagen und auch tolle Formulierungen, die mich durchaus an “Gut gegen Nordwind” erinnert haben, doch sie verhallen meist ohne nachhaltige Wirkung. Anstatt sich zu einem lebhaften Schlagabtausch zu verdichten oder spannende Denkansätze zu bieten, plätschern die Dialoge vor sich hin. Zusätzlich leidet der Lesefluss darunter, dass bestimmte Formulierungen und Sätze immer wieder wiederholt werden, wodurch sich schnell das Gefühl einstellt, dass sich das Gespräch – und damit auch die Geschichte – im Kreis dreht.
Und dann das Ende: Überraschend, ja – aber leider nicht auf die gute Art. Dass ich es nicht kommen sah, liegt weniger an erzählerischer Raffinesse als an der überkonstruierten Auflösung. Ein offenes Ende wie in „Gut gegen Nordwind“ hätte hier vielleicht nicht funktioniert, doch es hätte zweifellos bessere Möglichkeiten gegeben, die Geschichte stimmiger zu beenden.
Noch ein kurzes Wort zum Kartenspiel, das es für einige Blogger:innen passend zum Buch vom Dumont Verlag dazu gab: Es ist großartig! Die 50 Fragen – eigentlich zum Kennenlernen während einer Zugfahrt gedacht – haben mir und meinen Lieblingsmenschen schon mehrere Abende mit Deep Talk beschert. Wer auch immer sich dieses Spiel ausgedacht hat – Chapeau! Ich liebe es! Die wenigsten der 50 Fragen würde ich wohl einer fremden Person im Zug stellen, aber für einen Abend mit mir nahestehenden Menschen sind die Fragen auch ganz wunderbar. Danke, lieber Dumont Verlag!
Mein Fazit:
„In einem Zug“ beginnt mit einer interessanten Idee, verliert aber schnell an Fahrt. Die Dialoge, die Glattauers Handschrift tragen sollten, bleiben zu seicht, und das überkonstruierte Ende hinterlässt einen faden Beigeschmack. Wer einen pointierten und tiefgründigen Austausch zwischen den Figuren wie in „Gut gegen Nordwind“ erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich jedoch auf eine leichte, kurzweilige Lektüre einlassen möchte, könnte hier ein paar unterhaltsame Stunden verbringen.