|Rezension| Das schönste Wort der Welt – Margaret Mazzantini

von | Jun 6, 2019 | 0 Kommentare

Wie sehr dieser romantische Titel doch täuscht!

Verlag: Dumont
Originaltitel: Venuto al mondo
Übersetzung: Karin Krieger
Taschenbuch: 12,00 Euro
Ebook: 9,99 Euro
Erscheinungsdatum: 31.01.2019
Seiten: 702

„Ich schwamm auf dem Schmerz. Eine dünne Membran hielt mich an der Oberfläche. Wie diese Insekten, die auf den Blättern von Wasserpflanzen leben, habe ich keinerlei Bodenkontakt.“ (S.587)

Inhalt

Eines Morgens lässt die Mittfünfzigerin Gemma ihr Leben in Rom hinter sich und fliegt mit ihrem Sohn Pietro nach Sarajevo. Die Stadt ist schwer gezeichnet von vier schrecklichen Kriegsjahren. Sie werden erwartet von Gojko, der Gemma während der Olympischen Winterspiele 1984 mit der Liebe ihres Lebens bekannt gemacht hat: mit Diego, dem wilden Fotografen aus Genua. Er lebt nicht mehr, doch ein paar seiner Arbeiten werden jetzt zur Erinnerung an den Bosnienkrieg ausgestellt.
Gemma wird von der Vergangenheit eingeholt. Die süße, unschuldige Zeit vor dem Krieg: zwei furchtlose junge Menschen und ihre leidenschaftliche, bedingungslose Liebe in einer unversehrten Stadt. Auf immer ist diese Liebe untrennbar an Sarajevo gebunden. Dort kam 1992, während die ersten Bomben fielen, der von Gemma so heiß ersehnte und erkämpfte gemeinsame Sohn zur Welt. Und das, obwohl sie doch unfruchtbar war …
Wie der Krieg und diese Geburt schicksalhaft verknüpft sind, wie Liebende sich finden und zueinanderhalten und wie zuletzt Güte, Hoffnung und Gerechtigkeit siegen, davon erzählt Margaret Mazzantini so mitreißend, wie man es selten gelesen hat.

Mein Eindruck

Ich lese eigentlich keine 700-Seiten-Romane, da bisher alle Bücher dieses Formats, die ich versucht habe, zu lesen, mich früher oder später durch zu viele redundante Informationen (irgendwo muss der Umfang ja herkommen) gelangweilt haben. “Das schönste Wort der Welt” von Margaret Mazzantini ist ein 700-Seiten-Roman. Der Schreibstil der Autorin ist extrem blumig – Metapher über Metapher, sprachliche Bilder auf fast jeder Seite – was ich eigentlich gar nicht mag. Es geht in wesentlichen Teilen um den Bosnienkrieg. Kriegsromane lese ich aus Prinzip nicht, weil sie mich zu sehr mitnehmen. Außerdem ist der Roman von einer Halb-Italienerin geschrieben. Seit Elena Ferrante habe ich ein gestörtes Verhältnis zu italienischen Autorinnen. 

Es waren also denkbar ungünstige Voraussetzungen für eine große Liebe zwischen “Das schönste Wort der Welt” und mir. Ich hätte mir aus den o.g. Gründen diesen Roman auch nie gekauft, aber er wurde mir von jemanden geschenkt, der mich ziemlich gut kennt, also musste ich ihn zumindest anlesen. Man ahnt es wohl schon: Ich habe ihn zu Ende gelesen und das für meine Verhältnisse und den beträchtlichen Umfang sogar relativ zügig. Eins steht fest: Margaret Mazzantini kann wahnsinnig gut schreiben. Ihre sprachgewaltigen Bilder bleiben dem Leser lange im Kopf. Wie sie Stimmungen einfängt und Orte beschreibt, ist unvergleichlich. Auch die Übersetzerin Karin Krieger hat hier – soweit ich das ohne Italienischkenntnisse beurteilen kann – großartige Arbeit geleistet. Trotzdem wird mein Vorurteil gegenüber solch umfangreichen Romanen in gewisser (aber erträglicher) Weise auch hier bestätigt: Manchmal war es für meinen Geschmack zu viel: zu viele Nebensächlichkeiten, zu viele Metaphern. 50 Seiten weniger hätten dem Roman meiner Meinung nach gut getan.

Nichtsdestotrotz habe ich “Das schönste Wort der Welt” gern gelesen, wobei diese Formulierung eigentlich unglücklich ist, denn aufgrund der heftigen und an die Substanz gehenden Thematik ist dieses Buch trotz der Liebesgeschichte, die im Zentrum der Geschichte steht, kein schöner Roman im klassischen Sinne, was nicht nur an den vielen erschütternden Kriegsszenen in der zweiten Hälfte des Romans liegt, sondern auch an den Hauptfiguren, deren zunehmende Melancholie/ Resignation/ Einsamkeit manchmal nur schwer zu ertragen ist. Die Entwicklung der Protagonisten ist nachvollziehbar und authentisch – das macht es nicht gerade leichter, die Distanz zu ihnen zu wahren.

Zusammengefasst könnte man sagen “Das schönste Wort der Welt” handelt von einer großen Liebe in Zeiten des Krieges und schon während ich das schreibe, schüttelt es mich, denn kitschiger geht es wohl kaum, könnte man meinen. Weit gefehlt! Ich schwöre, dass es in diesem Roman absolut keine kitschigen Szenen gibt, auch keine Klischees und in Anbetracht der Thematik und des Umfangs finde ich diese Leistung wahnsinnig bewundernswert. Und trotzdem kommt man als Fan von Liebesgeschichten voll auf seine Kosten, denn Margaret Mazzantini liefert hier wunderbare Emotionen, beeindruckt durch ihre Sensibilität und ihr Gespür für die scheinbaren Nebensächlichkeiten. Während es im ersten Teil des Romans darum geht wie Diego und Gemma trotz denkbar ungünstiger Voraussetzungen zueinanderfinden und sich später als Paar im Alltag nicht zuletzt durch den bisher unerfüllten Kinderwunsch immer wieder neu definieren müssen, dreht sich der zweite Teil um den Bosnienkrieg und die damit einhergehende Belagerung Sarajevos – der Stadt, in dem die Beiden sich kennengelernt haben und in die sie kurz vor dem Krieg zurückgekehrt sind. Für eine Person wie mich, die Kriege nur aus den Geschichtsbüchern oder den Nachrichten kennt, ist das, was im zweiten Teil beschrieben wird, soweit entfernt von jeder Realität und trotzdem gelingt es der Autorin Bilder zu erzeugen, die sich einem einbrennen, Situationen zu beschreiben, für deren Grausamkeit es eigentlich keine Worte geben sollte, die es aber trotzdem gibt, eben weil solche Situationen tausendfach auf der Welt so oder so ähnlich bereits geschehen sind und auch aktuell noch geschehen. Deshalb ist dieser Roman so wichtig und richtig und ich bin der Autorin auch nicht böse, dass sie solch schwere Kost unter dem Deckmantel einer herzzereißenden Liebesgeschichte und dem romantisch anmutenden Titel “Das schönste Wort der Welt” verbirgt. 

Mein Fazit:

Man sollte sich von dem romantischen Titel und dem fantastischen Cover von Margaret Mazzantinis “Das schönste Wort der Welt” nicht blenden lassen – dieses Buch ist alles andere als ein Wohlfühlroman. Es tarnt sich zunächst wie einer, denn es beginnt mit einer schönen Liebesgeschichte, die den Leser taumeln lässt, dann bekommt das Liebesglück erste Risse, was schon schwer zu ertragen ist. Was die Autorin aber in der zweiten Hälfte des Romans schafft, ist eine düstere, grausame, zerbrechliche und erschütternde Realität, die mir so nahe gegangen ist, dass ich dankbar dafür war, dass wenigstens das Ende mein in Fetzen zerrissenes Herz wieder notdürftig zusammengeflickt hat.  

 
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