|Rezension| Krummes Holz – Julja Linhof

von | Jan. 4, 2025 | 0 Kommentare

Ein poetisches Debüt mit Licht und Schatten

Verlag: Klett Cotta
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 17,99 Euro
Erscheinungsdatum: 17.02.2024
Seiten: 272

Papa. Das Wort hat keine Bedeutung mehr. Ein Sack Scherben, der mir den Rachen aufschneidet.” (S. 98)

Inhalt

Es ist ein drückend schwüler Sommer, in dem Jirka an den Hof seiner Eltern im Krummen Holz zurückkehrt. Mehrfach hat er die Bitte seiner älteren Schwester Malene ignoriert, ihr gegen den Vater beizustehen. Als Jirka jetzt auf dem heruntergewirtschafteten Gutshof eintrifft, scheint keiner mehr auf ihn zu warten. Vom Vater findet sich keine Spur, und von seiner dementen Großmutter und seiner unversöhnlichen Schwester schlägt ihm eine Wand des Schweigens entgegen. Nur einer spricht mit ihm – Leander, der Sohn des letzten Verwalters. Doch obwohl die Feindseligkeit seiner Schwester kaum auszuhalten ist, lässt sich mit Leanders Nähe noch schwerer umgehen. Zu intensiv sind die Erinnerungen, die sich mit jedem neuen Tag in den Vordergrund drängen. »Krummes Holz« erzählt mit flirrender Intensität von der Kraft eines Geschwisterbandes in einer glücklosen Kindheit und darüber, wie zwischen all den enttäuschten Hoffnungen die Liebe zu finden ist.

Mein Eindruck

Mit „Krummes Holz“ legt Julja Linhof ihren Debütroman vor, der mich schon auf den ersten Seiten durch seine außergewöhnliche Sprache beeindruckte. Sie schafft es, mit poetischen, dabei jedoch einfachen Worten eine Welt zu zeichnen, die unmittelbar greifbar wird. Obwohl ich das Buch im Winter im kalten Schlafzimmer las, konnte ich die flirrende Hitze, in der Jirka auf dem Hof seiner Kindheit irgendwo im Nirgendwo ankommt, förmlich spüren. 

Julia Linhof erzählt eine düstere und zugleich sensible Geschichte über die Einsamkeit und Verletzlichkeit von Kindern, die ohne Liebe und stattdessen mit Misshandlungen aufwachsen. Daneben werden Themenfelder wie Demenz und Homosexualität aufgemacht. Während ersteres gut zum Plot und der bedrückenden Stimmung passte, hätte es die Coming Out-Geschichte meines Erachtens nicht für den Plot gebraucht. Das Leitthema von “Krummes Holz” – nämlich die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und die Weitergabe von Traumata – ist dafür umso spannender.  

Die Geschichte des ungleichen Geschwisterpaars, das trotz aller Brüche und Narben, die ihre Kindheit ihnen zugefügt hat, nach Halt und Glück strebt, ist sehr bedrückend und war für mich deshalb nur in kleinen Dosen verkraftbar. Beeindruckt hat mich wie die Autorin am Schicksal von Malene und Jirka eindringlich zeigt, wie unterschiedlich Menschen mit den gleichen Erfahrungen mit ihren Traumata umgehen.

Was ich auch sehr gelungen finde, ist die Doppeldeutigkeit des Buchtitels „Krummes Holz“. Einerseits verweist er auf die Straße “Am krummen Holz”, in dem der heruntergekommene Hof von Jirkas Familie steht. Andererseits greift er ein Zitat von Immanuel Kant auf: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Julja Linhofs Figuren verkörpern genau das: keine von ihnen ist „gerade“, denn sie tragen tiefe Wunden und Narben mit sich.

Für mich da größte Manko an diesem Roman ist das Erzähltempo: Die Erzählung entwickelt sich langsam, beinahe stillstehend. Die Handlung wird, wenn überhaupt, vor allem durch Jirkas Erinnerungen vorangetrieben, die er in der Abgeschiedenheit des Familienhofs durchlebt. Im Hier und Jetzt passiert lange Zeit kaum etwas. Die Figuren reden nicht miteinander und somit bleibt vieles unausgesprochen. Einen klassischen Spannungsbogen sucht man vergebens. Doch wer Durchhaltevermögen mitbringt, wird am Ende mit einer unerwarteten Wendung belohnt.

Mein Fazit:

“Krummes Holz“ überzeugt sprachlich auf ganzer Linie – Julja Linhof versteht es meisterhaft, mit wenigen Worten, eindrucksvolle Stimmungen und Bilder zu erzeugen. Inhaltlich bleibt das Potenzial jedoch unausgeschöpft: Viele Aspekte werden nur angedeutet, und das Erzähltempo wirkt über die gesamte Länge des Romans zu statisch. Damit ist “Krummes Holz” zwar ein Buch, das sich mit einem spannenden Thema beschäftigt und das mich sprachlich beeindruckt, aber erzählerisch nur teilweise überzeugt hat. Ich möchte aber definitiv den nächsten Roman der Autorin lesen.

 
Vielen Dank an den Klett Cotta Verlag für das Rezensionsexemplar.
 
 
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