|Rezension| Alexa Hennig von Lange – Kampfsterne
Ein Blick hinter die Kulissen von Bilderbuchfamilien
„Nein, die Beziehung zwischen zwei Menschen ist kompliziert. Sie deckt natürlich alle Fehlerhaftigkeiten auf. Alle kindlichen Prägungen, Schwächen und Ängste, diese Schwächen, diese kindlichen Prägungen, die einen in der Gefangenschaften halten, die einen nicht offen und gut miteinander sein lassen, loszuwerden, braucht es die Liebe und einen anderen Menschen, der bereit ist, gemeinsam für die jeweilige innere Ordnung zu sorgen, die sich natürlich auch gesellschaftlich widerspiegeln würde. Daran krankt unsere Gesellschaft! An lauter kranken Beziehungen!“ (S.170)
Worum geht´s?
1985 – Es ist ein verrückter, heißer Sommer, in dem Boris Becker Wimbledon gewinnt, vier Passagierflugzeuge innerhalb eines Monats abstürzen, alle großen Rockstars bei Life Aid für das hungernde Afrika singen und in einer Siedlung am Rand der Stadt drei Familien zu zerbrechen drohen.
Ulla und Rainer. Rita und Georg. Ella und Bernhard. Drei Paare. Mütter und Väter. Sie wohnen in dänischem Design, fahren nach Südfrankreich in den Urlaub, schicken ihre Kinder zum Cello-Unterricht und zum Intelligenztest. Sie versuchen, sich als aufgeklärte und interessierte Menschen zu beweisen, die das richtige Leben führen. Wo wäre das leichter als in den sorgenfreien Achtzigerjahren der Bundesrepublik? Und warum funktioniert es trotzdem nicht?
Alexa Hennig von Lange erzählt die Geschichte einer Generation von Eltern, die ein freieres Miteinander wollten. Der Ideologien, denen sie folgten. Der Liebe, die sie verband. Der Ängste, die sie hatten. Der Kindheit, die sie sich für ihre Söhne und Töchter wünschten. Der Fehler, die sie machten. Der Entschlüsse, die ihre Kinder deshalb fassten.
(Quelle: http://www.dumont-buchverlag.de/buch/hennig-von-lange-kampfsterne-9783832197742/)
Mein Eindruck
Bevor ich mich Alexa Hennig von Langes “Kampfsterne” inhaltlich widme, muss ich kurz noch die wunderschöne Optik und tolle Haptik des Buches erwähnen: Klein und handlich wie ein Taschenbuch, aber robust wie Hardcover und – Halleluja – ohne nervigen Schutzumschlag, vereint dieses Buch für mich alle Vorteile beider Buchformate. Das Cover sticht durch seine Kontraste und die geometrischen Formen sofort ins Auge, versprüht aber trotzdem eine schlichte Eleganz, weil es ohne Fotografien/Menschen/etc. auskommt. Der Titel “Kampfsterne” könnte auch der eines Sci-Fi-Thrillers sein, hat aber in Verbindung mit dem Cover, das Sci-Fi-untypisch ist, meine Neugier geweckt.
Ich habe einige Zeit gebraucht, um in die Geschichte hineinzufinden. Da sich die Geschichte um drei Familien dreht, gab es jede Menge Namen zu verinnerlichen, die ich am Anfang immer wieder durcheinander gehauen habe, was es schwer machte, einen Lesefluss zu entwickeln. Dann jedoch – etwa nach dem ersten Drittel der Geschichte – war ich drin in der Story, die Charaktere mir vertraut und die Spannung nahm zu. Alexa Hennig von Langes Schreibstil ist sehr speziell und hat mir gut gefallen: kurze, intensive Sätze, sprachlich ausgefeilt, aber nicht gestelzt, brachiale Ehrlichkeit und ein teilweise fast aggressiver Unterton.
Der Klappentext kündigt eine Geschichte über Familien in den 80er Jahren an – die bekommt man auch, allerdings war mir bis zuletzt schleierhaft, warum die Buchbeschreibung die zeitliche Ebene so fokussiert. Das Porträt der drei Mittelschicht-Familien ist nämlich meiner Meinung nach bis auf wenige Bezüge zu den 80er Jahren absolut zeitlos und ohne Weiteres auch in die heutige Zeit übertragbar. Die Geschichte handelt von – oberflächlich betrachtet – freundschaftlich und nachbarschaftlich verbundenen Bilderbuchfamilien: berufstätige, erfolgreiche Väter, Hausfrauen-Mütter, zwei Kinder pro Familie, die von ihren ehrgeizigen Eltern bestmöglichst gefördert werden, wohnhaft in einem nicht namentlich erwähnten deutschen Vorort. Alexa Hennig von Lange wagt nun den Blick hinter die Kulissen und lässt den Leser durch geschickte Perspektivwechsel zwischen Erwachsenen und Kindern in das Innerste ihrer Protagonisten blicken. Zu Beginn sind alle festgefahren in ihrer schönen Vorstadtwelt. Niemand soll hinter die Fassade blicken können – vor den Nachbarn den Schein zu wahren hat oberste Priorität in der Welt der Erwachsenen. Aber dann kommt allmählich und unaufhaltsam eine Lawine ins Rollen. Was im Einzelnen in den Familien im Argen liegt, will ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen, aber die Probleme sind vielfältig und trotz teilweise überspitzter Darstellung allesamt keine Seltenheit, was dem Identifikationspotential mit den Figuren zuträglich ist. Eine Sache hat mich allerdings während des Lesens sehr gestört: Eine der Figuren, ein achtjähriges Mädchen, hat die Autorin – warum auch immer – wie eine (sehr intelligente) Erwachsene denken und reden lassen. Da ging für mich ein Stück Glaubwürdigkeit verloren.
Davon abgesehen habe ich “Kampfsterne” aber vor allem aufgrund der sich zuspitzenden Story, des bitterbösen Untertons der Autorin und der Übertragbarkeit der Geschichte auf die Gegenwart durchaus gern gelesen.
Mein Fazit:
“Kampfsterne” ist trotz kleiner Schwächen eine eindrucksvolle und beklemmende Analyse eines Vorstadt-Kosmos, die durch interessante Charaktere und einen bitterbösen Unterton eine kurzweilige Lektüre ist. Dies war mein erstes Buch von Alexa Hennig von Lange, aber es wird garantiert nicht mein letztes sein.