|Rezension| Man sieht sich – Julia Karnick
Eins meiner Jahreshighlights!
„Mit Kind kriegte man immer das ganze Paket, hatte Frie in den letzten dreieinhalb Jahren oft gedacht, die richtig guten und die richtig miesen Gefühle.“ (S.294)
Inhalt
Mein Eindruck
Es kommt nicht oft vor, aber es gibt Bücher, die sieht man, liest den Klappentext und wird von einem intensiven Gefühl durchströmt. Man weiß sofort: ‘Das ist mein Buch. Ich muss es lesen.’ So erging es mir mit Julia Karnicks “Man sieht sich”. Die Beschreibung klang wie “Zwei an einem Tag” – nur mit deutschem Setting. “Zwei an einem Tag” von David Nicholls ist eines meiner all-time-favorites und somit war ich angefixt. Allerdings ist das ja auch immer so eine Sache mit den hohen Erwartungen. Aber spätestens auf Seite 66 wusste ich: “It’s a match!”. Da schreibt Julia Karnick nämlich: “Seine Gedanken kreisten immer seltener um Mama und dafür wieder ständig um die, an die zu denken ihm nie zu viel wurde, an die er nicht nur mit dem Kopf dachte, sondern mit dem ganzen Körper. Mit den Händen, wenn sei beim Fernsehen das Samt des Sofas streiften. Mit der Nase, wenn er sich ein gelbes Wrigley’s in den Mund steckte, denn ihr neues Parfum roch ein bisschen nach fruchtigem Kaugummi. Mit den Ohren, sobald er Somebody anmachte, das eindeutig allerschönste Liebeslied aller Zeiten, obwohl er Depeche Mode eigentlich gar nicht mochte.” Ja, Somebody ist eindeutig das allerschönste Liebeslied aller Zeiten und auch die restliche Playlist, die sich hinten im Buch befindet, ist nicht nur eine schöne Ergänzung zur Geschichte, sondern trifft vor allem sehr meinen Geschmack.
Ich habe “Man sieht sich”, das immerhin knapp 500 Seiten umfasst, in 3 Tagen gelesen – damit sollte meine Begeisterung für dieses Buch eigentlich bereits ausreichend zum Ausdruck gebracht worden sein. Aber was ist es nun, was diesen Roman ausmacht? Eigentlich ist es eine klassische “Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht”-Liebesgeschichte. Wie bei “Zwei an einem Tag” begleitet man die Protagonisten Frie und Robert über mehrere Jahrzehnte: angefangen in den späten Achtzigern bis heute. Was mir an Julia Karnicks Roman aber noch besser gefallen hat als bei meinem bis dato all time favorite ist wie viel Tiefe und Ehrlichkeit sie dem Ganzen gibt. Die beiden Figuren waren mir wesentlich näher als David Nicholls Protagonisten und dies nicht nur wegen des deutschen Settings. Ich mochte die vielen inneren Monologe, mit welchen Problemen sowohl Frie als auch Robert zu kämpfen haben und natürlich auch die Dynamik zwischen den beiden. Ich mochte, dass Julia Karnicks Themen sich nicht nur um das Erwachsenwerden drehen, sondern auch um das Älterwerden und die damit verbundenen Herausforderungen.
Die Geschichte von Frie und Robert ist wahnsinnig intensiv und lebensnah. Ihre Gefühle und Handlungen waren für mich immer nachvollziehbar und auch nachfühlbar – obwohl uns ein Altersunterschied von ca. 15 Jahren trennt. Julia Karnick liebt ihre Figuren – das spürt man in jedem Satz. Mit welcher Ehrlichkeit sie das Innerste ihrer Figuren offenbart, hat mich schwer begeistert. Auch ihr Schreibstil muss an dieser Stelle noch gewürdigt werden. Sie weiß genau, welche Dinge sie auslässt und welche nicht. Sie findet unheimlich schöne Formulierungen für Gefühle, die nie pathetisch oder kitschig sind, sondern durch ihre Klarheit überzeugen.
Julia Karnick schreibt mit einer beeindruckenden Lässigkeit eine Geschichte über zwei Menschen, die sich nach dem großen Glück sehnen. Ob sie es letztlich miteinander finden, werde ich selbstverständlich nicht verraten, aber auch hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zu “Zwei an einem Tag”… 😉
Mein Fazit:
Ich sag es wie es ist: Ich liebe dieses Buch! Ich werde meinem Umfeld die nächsten Wochen sehr doll auf die Nerven gehen mit meiner Penetranz, dass “Man sieht sich” unbedingt gelesen werden muss. Für mich ist dieser Roman eines der besten Bücher dieses Jahres: Es ist toll geschrieben, bietet echte Emotionen, ein hohes Identifikationspotential und macht noch dazu glücklich. Unbedingt lesen!