|Rezension| Marianengraben – Jasmin Schreiber

von | Jan 18, 2023 | 0 Kommentare

Wieder mal gilt: Don’t judge a book by it’s cover! 

Verlag: eichborn
Taschenbuch: 13,00 Euro
Ebook: 9,99 Euro
Erscheinungsdatum: 27.08.2021
Seiten: 256

„Doch in mir gab es nichts zu schöpfen, ich saß im Marianengraben mit einer kleinen Suppenkelle und sollte damit all das Wasser und den Schmerz aus mir herausholen, damit es mir besser ginge, ich sollte alles hochholen und zur Betrachtung ausbreiten und zeigen.“ (S.15)

Inhalt

Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt. Erst die Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise.

Mein Eindruck

“Marianengraben” war ein Weihnachtsgeschenk. Als das Buch erschien, hatte ich es zwar wahrgenommen und auch mitbekommen, dass Jasmin Schreibers Debütroman auf die SPIEGEL-Bestsellerliste wanderte, aber wir wissen doch alle, dass nicht jedes Buch auf der Bestsellerliste wirklich lesenswert ist. Irgendwie haben mich Titel und Cover abgeschreckt – ich habs nicht so mit Meeresbewohnern und Meereskunde. Leider hat mich dies auch davon abgehalten mich mit dem Inhalt des Buches auseinanderzusetzen. Nun bekam ich es aber zu Weihnachten geschenkt. Grundsätzlich finde ich jedes Buch toll, das mir geschenkt wird, da die meisten Menschen mir keine Bücher schenken (“Du hast doch schon genug!”, “Du arbeitest in der Bibliothek. Du kannst dir doch alles ausleihen!”). Ich las den Klappentext und war sofort fasziniert wie gut dieses Buch zu mir und meinem Lesegeschmack zu passen scheint, was wiederum bedeutet, dass die Schenkende einen Volltreffer gelandet hat. Wer viele Bücher liest, weiß wie selten das vorkommt.

Also begann ich noch an den Weihnachtstagen die Lektüre und war von der ersten Seite an begeistert von Jasmin Schreibers unglaublich schönen Sprache. Lange habe ich nicht mehr so viele Textstellen in einem Buch markiert wie in “Marianengraben”. Ihre Sprache ist sehr feinfühlig, pointiert, leicht in der Wahl ihrer Worte und tiefsinnig in ihrer Bedeutung. Es sind Sätze wie “Ein Buch in der Hand kann ein echter Rettungsanker sein – wenn die See des Lebens zu rau ist, klammert man sich an Geschichten und lässt sich von ihnen in Sicherheit bringen.” (S.10), die man doch am liebsten auf Postkarten und Lesezeichen drucken und verschenken möchte. Der Rahmen der Geschichte ist schnell erzählt: Paula, die Protagonistin des Buches, wird nach dem Tod ihres 10-jährigen Bruders depressiv. Durch Zufall begegnet sie dem schrulligen Rentner Helmut und begibt sich zusammen mit ihm, seinem Hund und seinem Wohnmobil auf eine Reise nach Österreich. Vorweg: Ich mag keine Roadtrip-Geschichten, weil sie irgendwie immer nach dem gleichen Muster ablaufen: Irgendwer flieht vor Irgendetwas nach Irgendwohin und am Ende sind alle wieder froh. Bäh! Nun ahnte ich nach den ersten Seiten von “Marianengraben” schon, dass ich hier wohl meine Vorurteile mal in der Schublade lassen muss. Denn selbst wenn die Geschichte im weitesten Sinne nach genau diesem Muster abläuft, ist sie durch ihre Charaktere, die wunderbare Sprache, den feinen Humor und die Sensibilität, mit der Jasmin Schreiber Themen wie Trauerbewältigung und Depression angeht, ein Leuchtturm, der weit aus dem Meer der Road-Trip-Bücher herausragt. Sie zeigt wie individuell Trauer sein kann und dass es kein “richtiges” oder “falsches” Trauern gibt. Sie zeigt auch, dass es in einem Trauerprozess manchmal leichter ist, sich einer fremden Person anzuvertrauen als den Menschen, die uns nahe stehen. 

Und dann wäre da noch die originelle Kapitelaufteilung des Buches: Schreibers erstes Kapitel lautet 11000. Das zweite 10430. Nach ersten Irritationen erkannte ich das Muster: Es ist die tiefste Stelle des Marianengrabens mit der die Autorin ihren Roman beginnt. Im Laufe der Geschichte schwimmen wir mit Helmut und Paula immer weiter nach oben in Richtung Oberfläche. Damit sollte den meisten Menschen schon klar sein, welche Metapher sich hinter dem Buchtitel verbirgt.

Mein Fazit:

Für mich war “Marianengraben” endlich mal wieder ein Roman, den ich absichtlich in kleinen Portionen gelesen habe, damit ich ihn möglichst lange genießen kann. Ja, es ist eine Geschichte über den Tod, über das Sterben und das Trauern. Aber es auch eine Geschichte, die einen lächeln lässt und die Hoffnung gibt, dass es einen Weg heraus gibt aus der Trauer und dass es sich lohnt, wenigstens zu versuchen, an die Oberfläche zu schwimmen. Selbst wenn sie 11.000 Meter entfernt ist.

 

 
Share This