|Rezension| Mon Chéri und unsere demolierten Seelen – Verena Roßbacher
Charly Benz ist definitiv eines meiner Jahreshighlights!
„Diese ungeheure Lautlosigkeit, mit der Schnee vom Himmel taumelte, so heiter und dabei so still, das war ungewöhnlich, etwas Heiteres war eigentlich nicht still, nicht wahr?“ (S.233)
Inhalt
Wie gestaltet man sein Leben, wenn man zwei linke Hände, eine demolierte Seele und jede Menge Probleme hat? Eine hinreißende Tiefstaplerin, der man nicht so ganz trauen kann, führt uns durch den neuen Roman von Verena Roßbacher.
Mit unverbrüchlichem Optimismus und irre gut gelaunt strauchelt Charly Benz seit 43 Jahren durch ihr Leben. Sie arbeitet im Marketing einer Berliner Foodcompany, ernährt sich von angebrannten Croissants und bespricht ihre Beziehungsprobleme – die darin bestehen, dass sie keine Beziehung hat – mit ihrem einzigen Freund: Herr Schabowski, ein sechzigjähriger Mann, der ihre Post und Ängste sortiert. Doch als dieser eine tödliche Diagnose erhält, ihr erster Versuch einer Systemischen Familienaufstellung in einem Debakel endet und plötzlich gleich drei Männer ihr Leben gehörig durcheinanderbringen, verlässt Charly allumfassend der Mut.
Mein Eindruck
Eigentlich hatte ich diesen Roman schon vor seinem Erscheinungstermin auf dem Schirm, weil der Titel einer der besten überhaupt ist und auch der Klappentext mich angesprochen hat. Aber irgendwie habe ich ihn dann wieder aus den Augen verloren, so dass ich jetzt ein bisschen late to the party bin. Erschienen ist “Mon Chéri und unsere demolierten Seelen” nämlich bereits im März 2022, aber hey, in 9 Monaten erscheint bereits das Taschenbuch. Und ich schwöre: Diese Rezension gibt euch genügend Gründe, dieses vorzubestellen!
Denn Charly Benz, die Protagonistin dieses 500 Seiten-Romans ist ein Charakter, den man einfach lieben muss! Sie hat ihr Leben auf einer sehr charmante Art so dermaßen nicht im Griff, dass es unmöglich ist, nicht mit ihr zu sympathisieren. Angefangen bei ihrer Abneigung gegenüber sportlicher Betätigung über ihren Job im Marketing, von dem sie eigentlich keine Ahnung hat, ihn aber zu ihrem eigenen Erstaunen trotzdem gut macht bis hin zu der Tatsache, dass sie mit Anfang 40 immer noch dem Jungen hinterhertrauert, der ihr als Jugendliche das Herz gebrochen hat – steckt nicht in jeder von uns ein bisschen Charly Benz? Oder um es im Stil des Buches auszudrücken, in dem gerne alte Werbeslogan zitiert werden: “Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?”
Völlig zurecht wurde dieser Roman mit dem Österreichischen Buchpreis 2022 ausgezeichnet. Apropos Österreich: Was ist nur das Geheimrezept der österreichischen Autorinnen unserer Zeit? Ob Mareike Fallwickl, Birgit Birnbacher oder jetzt Verena Roßbacher – ich liebe ihre Art, zu schreiben, ihren Humor und mit wieviel Fingerspitzengefühl und Empathie sie ihre weiblichen Hauptfiguren darstellen. Damit sind bereits die Stärken dieses Romans gut zusammengefasst: intelligenter Humor (viel davon!), Empathie für die Figuren (allen voran die weiblichen) und mit wie viel Feingefühl die Autorin zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit balanciert. Die Geschichte von Charly Benz ist nämlich nicht nur Bridget Jones-mäßig unterhaltsam, sondern durchaus tiefgängig und tragikomisch, was vor allem im letzten Drittel des Romans zum Tragen kommt – und das auf eine durchaus glaubhafte Art. Ich mochte es, so tief in Charlys Gedanken einzutauchen und fand die 500 Seiten überraschend kurzweilig, was definitiv für Verena Roßbachers Schreibstil spricht.
Der Titel von Verena Roßbachers Roman deutet es bereits an, der Inhalt bestätigt es: Dieser Roman macht gute Laune. Es ist kein “Feel good”-Roman im klassischen Sinne, sondern einer, den man am Ende mit einem guten Gefühl zuklappt, nachdem man nicht nur viel gelacht, sondern durchaus auch ein paar Tränen vergossen hat. “Mon cheri und unsere demolierten Seelen” ist eine Leseempfehlung für alle, die mal wieder etwas richtig Schönes lesen wollen! Charly Benz ist mir so sehr ans Herz gewachsen und definitiv eines meiner Jahreshighlights!