|Rezension| Unser Ole – Katja Lange-Müller
Der etwas andere Roman über Mutterschaft
„Ich drückte den schwarzen Knopf in meiner schwarzen Seele, und schon war Ruhe (…)“ (S.96)
Inhalt
Drei Frauen, die von ihren Müttern nicht geliebt wurden, ein kognitiv beeinträchtigter Junge, der sie verbindet, und ein unerwarteter Tod. Katja Lange-Müller gelingt mit diesem Kammerspiel ein literarisches Wunderwerk.
Die einst bildschöne Ida ist alt und vom Leben, den Männern und sich selbst enttäuscht. Um nicht völlig zu verarmen, arbeitet sie gelegentlich als Model bei Seniorinnenmodenschauen. In einem Kaufhaus begegnet sie Elvira, die ihren Enkel Ole betreut, genauer: ihn abwechselnd schikaniert und verwöhnt. Als Ida ihre Wohnung verliert, lockt Elvira, die den Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen hat und doch nichts mehr fürchtet als die Einsamkeit, die Freundin in ihr Landhaus, denn sie braucht Hilfe mit dem unberechenbaren, spätpubertierenden Hünen Ole.
Eines Morgens kommt es zu einem tragischen Ereignis, das Oles Mutter Manuela auf den Plan ruft. Sie hat ihren Sohn seit dessen erstem Lebensjahr nicht mehr gesehen. Während die Frauen einander misstrauisch umkreisen, entblättern sich ihre Familiengeschichten, ihre Biografien, ihre seelischen Verletzungen.
Mein Eindruck
Ich wollte “Unser Ole” unbedingt lesen, weil der Klappentext einen originellen Plot versprach, den ich spannend fand. Wahrscheinlich ist “Mutterschaft” das Thema, das in den meisten Romanen, die ich in diesem Jahr gelesen habe, vorherrschend ist. In diesem Roman wird Mutterschaft aber von einer neuen Seite beleuchtet. Katja Lange-Müller verknüpft die Schicksale dreier Frauen – Elvira, Ida und Manuela – auf originelle Weise. Elvira, Oles Großmutter, hat diesen aufgezogen und pflegt ihn bis heute. Ida, Elviras Mitbewohnerin, teilt ihren Alltag, bleibt ansonsten aber auf Distanz. Manuela, Elviras Tochter und Oles Mutter, hat bereits seit seinem ersten Geburtstag keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn.
Diese drei Frauen sind sehr verschieden, sie eint aber eine gemeinsame Geschichte der emotionalen Entbehrung. Sie waren als Kinder nicht gewollt, erlebten keine elterliche Liebe und können diese Zuneigung auch selbst kaum weitergeben. Ihre Leben sind von Ich-Bezogenheit, Misstrauen und Verletzungen geprägt. Der Roman setzt sich mit der Folge von fehlender Mutterliebe auseinander und zeigt, welche widersprüchlichen Persönlichkeiten und eine oft heimliche Sehnsucht nach Zuneigung diese hervorbringt.
“Unser Ole” ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Eltern-Kind-Beziehungen, insbesondere zwischen Müttern und Töchtern. Ole selbst dient dabei weniger als Hauptfigur- obwohl er titelgebend für den Roman ist -, sondern vielmehr als roter Faden der Geschichte. Auch ihm fehlt die mütterliche Liebe, aber Katja Lange-Müller gibt ihm keine Stimme in der Geschichte, was ich schade finde. Trotzdem ist er in diesem Roman eine von vier traurigen Figuren, deren Leben trotz aller Schwere von einer beeindruckenden Widerstandskraft geprägt sind.
Sprachlich war der Roman für mich gelegentlich herausfordernd. Schachtelsätze und Wortneuschöpfungen wirken zu bemüht und passen nicht immer zu dem feinen Berliner Humor, der in den Dialogen durchscheint. Sätze über 8 Zeilen sind keine Seltenheit – ich denke, das hätte der Roman nicht gebraucht. Katja Müller-Lange punktet auch so mit ihrem präzisen Gespür für menschliche Schwächen.
Mein Fazit:
Katja Lange-Müller präsentiert mit “Unser Ole” einen intensiven, originellen Roman über Familienstrukturen, emotionale Kälte und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Die Autorin zeigt mit schonungsloser Präzision und einem Hauch “Berliner Schnauze Humor”, wie Verletzungen weitergegeben werden und wie Menschen dennoch ihren Weg suchen. Trotz der teils herausfordernden Sprache lohnt sich die Lektüre für alle, die tiefgründige Charakterstudien und feinsinnige Erzählkunst schätzen.