|Rezension| Verheiratete Frauen – Cristina Campos
Cristina Campos über Sehnsüchte, Selbstzweifel und stille Rebellionen

„Die subtile weibliche Untreue liegt im Detail. Da sind die Romane, die deine Frau gelesen hat und die seit Jahren auf den neuen Bücherstapeln gleich neben eurem Bett liegen. Da ist das neue Paar Laufschuhe, das deine Frau im Nike-Shop am Paseo de Gracia gekauft hat, nicht weit von Zara. Oder eben ein weißes Baumwolllaken, das in einer kleinen Manufaktur in einem abgelegenen senegalesischen Dorf gefertigt wurde und das nun Cósimas halbnackten Körper bedeckt.“ (S.185)
Inhalt
Gabriela ist Journalistin. Nach fünfzehn Jahren Ehe beginnt sie eine Affäre mit einem Mann, den sie schon lange liebt. Silvia ist Fotografin und schwanger von ihrem Ehemann, der sie eigentlich nicht glücklich macht. Stylistin Cósima ist frisch verheiratet und spürt, dass ihr Mann sie nicht mehr begehrt. Die Frauen geben einander Halt, während sie Jahr um Jahr ihr Leben führen, auch wenn sie sich das so nie vorgestellt hatten – drei Freundinnen in ihren Vierzigern, die entdecken, dass verheiratet sein kein Zustand ist, sondern ein tiefer, langer Fluss.
Mein Eindruck
„Verheiratete Frauen“ von Cristina Campos ist der beste Beweis dafür, dass es sich manchmal lohnt, ein Buch nicht gleich zur Seite zu legen, nur weil der Funke nicht sofort überspringt. In den ersten vier Tagen habe ich im Durchschnitt gerade einmal zwanzig Seiten gelesen – ich kam einfach nicht richtig in die Geschichte hinein. Woran das lag, kann ich schwer benennen; vielleicht lag es am ruhigen Erzählton oder daran, dass sich die Figuren zunächst noch zu fremd anfühlten. Doch ab etwa Seite 100 nahm die Geschichte spürbar an Fahrt auf – und plötzlich war ich mittendrin.
Im Zentrum stehen drei verheiratete Frauen: Gabriela, Cosima und Silvia. Sie haben sich über ihre gemeinsame Arbeit kennengelernt und teilen seither eine tiefe Freundschaft – und ein ähnliches Schicksal. Denn obwohl sie alle verheiratet sind, ist keine von ihnen wirklich glücklich.
Cosima steckt in einer Ehe fest, die zwar dem äußeren Schein nach perfekt wirkt – besonders in dem konservativen Umfeld, in dem sie lebt –, in der es aber weder Liebe noch körperliche Nähe gibt. Silvia wiederum lebt mit einem Mann zusammen, der sie von Herzen liebt, doch sie muss sich selbst eingestehen, dass sie seine Gefühle nicht erwidert. Gabriela schließlich schwärmt jahrelang für einen ebenfalls verheirateten Mann – eine Schwärmerei, die irgendwann in eine leidenschaftliche Affäre mündet.
Besonders Gabriela stand für mich im Mittelpunkt des Romans – nicht nur, weil sie von der Autorin am ausführlichsten gezeichnet wird, sondern auch, weil ihre innere Zerrissenheit am eindrücklichsten beschrieben ist. Cristina Campos schildert auf feinfühlige Weise, wie Gabriela zwischen der Liebe zu ihrem Ehemann und dem Begehren nach einem anderen Mann hin- und hergerissen ist. Dabei geht es nicht einfach nur um den Reiz des Verbotenen, sondern um tiefere Themen: um den unerfüllten Kinderwunsch, Probleme mit Sexualität, um Verliebtheit, Altern, Selbstzweifel, um moralische Konflikte, Mutterschaft – und letztlich um die Frage, wer man als Frau eigentlich (noch) sein darf, wenn man „verheiratet“ ist.
Ich wollte unbedingt wissen, wie Gabriela sich entscheiden würde – und wie Cristina Campos ihre Geschichte und die ihrer beiden Freundinnen zu einem stimmigen Abschluss bringt. Gibt es ein Happy End für alle drei? Oder bleiben sie in der Tristesse ihrer Ehen gefangen, weil man sich schließlich einmal ein Eheversprechen gegeben hat?
Natürlich werde ich das hier nicht verraten – nur so viel: Die Autorin wählt einen eleganten, vielleicht sogar zu eleganten Weg. Das Ende hat mich zufrieden zurückgelassen, aber gleichzeitig das Gefühl hinterlassen, dass die Geschichte an einem entscheidenden Punkt ein wenig an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat.
Neben den individuellen Liebes- und Leidensgeschichten spielt aber auch die Freundschaft der drei Frauen eine zentrale Rolle. Campos gelingt es, die Dynamik zwischen ihnen feinfühlig herauszuarbeiten. Mal sind sie einander Halt, mal Spiegel, mal Reibungsfläche. Diese Freundschaft wird nie verklärt – sie ist ehrlich, manchmal unbequem, aber stets bedeutsam.
Was ich besonders schätze: Der Roman verfällt nicht in platte Schuldzuweisungen. Es gibt kein Männer-Bashing, keine einfache Täter-Opfer-Zeichnung. Stattdessen haben alle Figuren – egal ob männlich oder weiblich – ihre Licht- und Schattenseiten. Das macht „Verheiratete Frauen“ zu einem Roman, der differenziert und lebensnah über das große Thema Ehe nachdenkt.
Mein Fazit:
„Verheiratete Frauen“ ist ein fein komponierter Roman über die Komplexität moderner Ehen, über weibliche Sehnsüchte, Freundschaft und Selbstbefreiung. Cristina Campos erzählt eindringlich und mit großem Gespür für emotionale Zwischentöne. Auch wenn der Einstieg etwas Geduld erfordert, lohnt sich das Dranbleiben – denn am Ende bleibt nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch die leise Frage: Wer wäre ich heute, wenn ich mich damals anders entschieden hätte?