|Rezension| Vom Ende der Einsamkeit – Benedict Wells

von | Apr 8, 2016 | 0 Kommentare

Beeindruckende und wortgewaltige Geschichte über zwei einsame Protagonisten

Verlag: Diogenes
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 10,99 Euro
Hörbuch: 24,99 Euro
Erscheinungsdatum: 24.02.2016
Seiten: 368
 

„Was ich inzwischen jedoch am meisten an Alva schätzte, war ihre Behutsamkeit. Es war, als wäre das Wort für sie erfunden worden. Sie war behutsam beim Umtopfen einer Pflanze, beim Formulieren eines Gedankens, wenn sie ihrem Mann zärtlich über den Nacken strich, beim Schreiben eines Briefs oder beim Decken des Tischs, wo sie Besteck, Teller und Gläser stets exakt platzierte. Als wolle sie nichts mehr dem Zufall überlassen.” (S. 220)

Inhalt

‘Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind: Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.’
Jules und seine beiden Geschwister wachsen behütet auf, bis ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen. Als Erwachsene glauben sie, diesen Schicksalsschlag überwunden zu haben. Doch dann holt sie die Vergangenheit wieder ein.
Ein berührender Roman über das Überwinden von Verlust und Einsamkeit und über die Frage, was in einem Menschen unveränderlich ist. Und vor allem: eine große Liebesgeschichte.

Mein Eindruck

Dieser Roman wurde nicht nur vom Verlag, sondern auch von verschiedenen Feuilletons und namenhaften Bloggern hoch gelobt, so dass ich neugierig darauf wurde. Nach so vielen positiven Kritiken nahm ich mir diesen Roman mit recht hohen Erwartungen zur Hand und fragte mich nach den ersten 50 Seiten wie sich diese Lobeshymnen rechtfertigen.

Sprachlich überzeugt “Vom Ende der Einsamkeit” von Anfang an. Kennt man Benedict Wells nicht, würde man bei dieser ausgefeilten, intelligenten Sprache hinter diesem Pseudonym einen älteren Herren vermuten, der sich seit Jahrzehnten mit der deutschen Sprache beschäftigt. Wells ist aber gerade mal 32 Jahre alt, was man seiner Art sich Auszudrücken ganz und gar nicht anmerkt. Seine Sprache ist aber keinesfalls altklug oder behäbig, sondern vielmehr sehr präzise und fließend. Überzeugendstes Argument für die wunderschöne Sprache: etwa 20 Post its in meinem Buch, die beeindruckende Textstellen markieren.

Die Geschichte braucht ein wenig bis sie an Fahrt aufnimmt. Genauer gesagt wurde sie für mich dann interessant als die Liebesgeschichte ins Zentrum des Plots rückt, was in etwa nach 100 Seiten der Fall ist. Das was der Geschichte am Anfang fehlt, macht sie ab dann wieder wett, weil sie einen derartigen Sog entwickelt, dass man das Buch kaum noch aus der Hand legen möchte. Jules ist ein interessanter, ambivalenter Protagonist und kein stereotyper Charakter. Im Roman werden etwa 40 Jahre seines Lebens und damit auch ganz verschiedene Lebensphasen erzählt, in denen sich sein Charakter entwickelt und verändert. Der rote Faden ist dabei die schon im Titel thematisierte Empfindung: Einsamkeit und deren Facetten. Denn auch für Alva, die weibliche Hauptrolle, ist Einsamkeit ein zentrales Thema, allerdings aus anderen Gründen als bei Jules. Dieser Aspekt macht die Liebesgeschichte beider nicht nur spannend sondern vor allem originell.

Aber auch an Emotionalität hat Wells einiges zu bieten ohne dabei je ins Kitschige abzudriften. Wer bei einer Liebesgeschichte auf ausufernde Liebesschwüre und Bettszenen hofft, wird hier vollends enttäuscht. Es sind eher die leisen Töne und das Ungesagte, die die Geschichte von Alva und Jules ihre Dramatik und Emotionalität verleihen.

Doch dieser Roman ist nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern mindestens in gleichen Teilen auch eine Familiengeschichte. Jules Geschwister Marty und Liz sind stets präsent und spielen ebenfalls entscheidende Rollen. Der Schicksalsschlag in ihrer Kindheit wirkt sich auf jeden der drei Geschwister unterschiedlich aus, was es so faszinierend macht, die drei auf ihrem weiteren Lebensweg zu begleiten. Dabei verzichtet Wells auf eine stringente Handlung und wechselt immer wieder zwischen Erinnerungen an die Vergangenheit und der Gegenwart, wodurch der Leser gefordert, aber nicht überfordert wird.

Das Ende des Romans mag für den ein oder anderen Leser vielleicht unbefriedigend sein; ich fand es perfekt. Es beschreibt genau das, was der Titel aussagt: Das Ende der Einsamkeit, ohne dabei pathetisch, kitschig oder unglaubwürdig zu sein. Es ist ein würdiger Abschluss dieser tiefgründigen und aufwühlenden Geschichte.

Mein Fazit:

“Vom Ende der Einsamkeit” ist ein wortgewaltiger und kluger Roman, in dem Wells uns mittels einer Familien- und Liebesgeschichte vermittelt, welche Formen der Einsamkeit es gibt und wie unterschiedlich verschiedene Charaktere mit ihr umgehen bzw. Wege suchen, diese zu bekämpfen. Er zeigt an verschiedenen Beispielen auf wie ein Schicksalsschlag in der Kindheit unser weiteres Leben verändern kann und schafft es durch diesen originellen Plot und die beeindruckende Art zu Erzählen, dass diese Geschichte im Kopf und Herzen des Lesers lange nachwirkt. Damit ist eins klar: Manchmal hat der Hype um einen Roman auch seine Berechtigung 🙂 Unbedingt lesen!

 
Vielen Dank an den Diogenes Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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