|Rezension| Nur ein paar Nächte – Fabian Neidhardt
Zum Weinen schön!
„Ben fixierte den Punkt unter der Nase, die kleine Vertiefung, die in die Kippe überging, und fragte sich, ob es ein Wort für das Heimweh nach einem Ort gibt, an dem man noch nie war, aber von dem man weiß, dass er ein tolles Zuhause gewesen wäre.“ (S.22)
Inhalt
Von einem alleinerziehenden Vater und einer Tochter, die sich kaum bändigen lässt, von Nähe und Loslassen, von Entscheidungen, die das Leben verlangt.
Ben ist Mitte dreißig, er zieht allein seine 12-jährige Tochter Mia groß – und: er hat sich in seinem Leben eingerichtet. Was aber, wenn sich plötzlich alles verändert? Denn: Bens Vater steht vor der Tür und muss für ein paar Nächte bei ihm unterkommen, weil er seine Frau, Bens Mutter, betrogen hat. Außerdem bringt die Polizei Mia nach Hause, die auf eigene Faust nach Hamburg reisen wollte. Um ihre Mutter zu suchen. Um endlich Antworten zu finden.
Mein Eindruck
Nachdem ich letztes Jahr mit großer Begeisterung “Immer noch wach” gelesen hatte, habe ich mich sehr auf Fabian Neidhardts neuen Roman “Nur ein paar Nächte” gefreut, wenngleich ich unsicher war, ob sein neuer Roman mich genauso abholen würde wie sein Debüt. Ein Roman über einen alleinerziehenden Vater ist nicht unbedingt das, was ich mir normalerweise als Lektüre aussuchen würde, aber ich war so begeistert von “Immer noch wach”, dass ich mich dennoch darauf eingelassen habe.
Erzählt wird die Geschichte von Ben, der mit seiner Tochter zusammenlebt und von seinem Vater überrumpelt wird, der plötzlich vor seiner Tür steht. Unterbrochen wird die Geschichte durch Flashbacks in die Vergangenheit, so dass es letztlich zwei Erzählstränge gibt, die eng miteinander verwoben sind. Zum einen geht es um Bens Beziehung zu Orna, der Mutter seiner Tochter, zum anderen aber auch um Bens Kindheit und damit verbunden sein Verhältnis zu seinen Eltern. Dabei wechselt der Autor gelegentlich die Perspektive. Es wird zwar hauptsächlich aus Bens Sicht erzählt, aber manchmal wird auch die Sicht seines Vaters oder seiner Exfreundin eingenommen. Auf sehr einfühlsame Weise zeigt Fabian Neidhardt, dass sowohl in Paar- als auch in Eltern-Kind-Beziehungen oft oberflächlich intakt zu sein scheinen, man sich vielleicht irgendwann mit einem “So ist es eben.” zufrieden gibt, während im Inneren ein Feuer schwelt, dass bei jeder Begegnung größer wird – bis man die lodernden Flammen nicht mehr ignorieren kann, weil man sonst innerlich verbrennt.
Auch widmet sich der Autor sehr eindringlich sensiblen Themen wie unerfüllten Kinderwunsch vs. ungewollte Schwangerschaft. Vor allem letztere Thematik nimmt recht viel Raum im Roman ein. Man merkt sehr deutlich, dass der Autor sich im Vorfeld intensiv mit dem Thema Mutterschaft bzw. “Regretting Motherhood” auseinandergesetzt hat. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass eine seiner Figuren Orna heißt – genauso wie die Autorin des Buches “Regretting Motherhood”: Orna Dornath. Als männlicher Autor macht er sich natürlich doppelt angreifbar, wenn er solche heiklen, weiblichen Themen bearbeitet. Aber dank seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik, ist seine Geschichte über eine Mutter, die keine sein möchte, eine sehr authentische – soweit ich das als Frau und Mutter beurteilen kann. Er bleibt dabei stets wertfrei und verurteilt keine seiner Figuren für ihr handeln. Vielmehr versucht er durch das Aufdecken von immer mehr Details, deren Denken und Handeln zu erklären.
Mein Fazit:
“Nur ein paar Nächte” ist ein Plädoyer dafür, niemanden für sein Handeln zu verurteilen, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Getreu dem Sprichwort “Unter jedem Dach ein Ach” zeigt Fabian Neidhardt hier am Beispiel einer Familie einerseits wie Unausgesprochenes familiäre Strukturen porös macht und andererseits, dass es sich immer lohnt, gesellschaftliche Konventionen zu hinterfragen und ggf. zu durchbrechen. Ich liebe diesen Roman für die Thematisierung von ungewollter Mutterschaft und dafür, dass er mich zum Weinen gebracht hat. Danke, Fabian Neidhardt! Ich will mehr!