|Rezension| Christoph Poschenrieder – Kind ohne Namen
Unterhaltsam erzählte und originelle Story
„Das verordnete Lesen strengte mich an. Früher, mit den Büchern aus der Bibliothek des Grünen, war es wie Spazierengehen, im Studium wurde es zum Gepäckmarsch, mit all dem, was es zu bedenken und zu beachten gab. Immer musste ich wachsam sein, was hinter der nächsten Ecke lauerte. Und mit jedem zurückgelegten Stück Wegs grübeln, ob ich etwas übersehen hatte, das die anderen mühelos aufgespürt hatten, wodurch sie kluge Fragen im Seminar stellen und smarte Statements abgeben konnten. “ (S.116)
Worum geht´s?
Nach einem Jahr an der Universität kommt Xenia in ihr Heimatdorf am Ende der Welt zurück. Sie ist schwanger, doch niemand soll das wissen. Als ein Dutzend Fremde aus dem Nahen Osten in der Schule einquartiert wird, gerät das Dorf in Aufruhr. Um den Frieden wiederherzustellen, lässt sich Xenias Mutter auf einen verhängnisvollen Handel mit dem gefürchteten Burgherrn ein. Was sie nicht weiß: Sie gefährdet damit das ungeborene Kind.
Cover und Titel
Mein Eindruck
Wenn männliche Autoren sich für eine weibliche Protagonistin entscheiden, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist das eine besondere Herausforderung. Christoph Poschenrieder setzt dem Ganzen noch die Krone auf, indem er eine schwangere junge Frau als zentrale Figur seines Romans wählt. Aber kann ein Mann glaubwürdig aus der Sicht einer schwangeren Frau erzählen? Nun, er kann. Und dies auf eine sehr unterhaltsame und originelle Art, die bereits auf den ersten Seiten überzeugt. Ihm gelingt es, ein schweres Thema mit einer Leichtigkeit und einem unterschwelligen Humor zu erzählen ohne die Thematik ins Lächerliche zu ziehen – dieser Spagat ist beeindruckend. Poschenrieder verarbeitet in “Kind ohne Namen” ein hochaktuelles Problem: Die Angst von Einheimischen vor Zugewanderten. Seine Darstellung des Ganzen ist leicht überspitzt, wendet sich hier doch ein ganzes Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten zu sein scheint (es gibt nicht mal Handyempfang) und damit besonders rückständig wirkt gegen einen Kleinbus voller Flüchtlinge, die im Dorf eine vorübergehende Bleibe finden sollen. Hier geht es also nicht um Fremdenhass im Allgemeinen, sondern darum wie sich Menschen aus einer fremden Kultur in einem in sich geschlossenen Kosmos integrieren sollen.
Der Titel ist also insofern irreführend als das besagtes Kind ohne Namen in der ersten Hälfte des Romans gar nicht thematisiert wird. Die Protagonistin Xenia, die aus der großen Stadt in ihr Heimatdorf zurückkehrt, weil sie schwanger ist und deshalb ihr Studium abbricht, erzählt in authentischem und selbstbewussten Ton im ersten Teil des Romans überwiegend von den Geschehnissen im Dorf, den ankommenden Flüchtlingen und die Reaktionen der Dorfbewohner auf die neuen Umstände. Die Schwangerschaft und das daraus resultierende “Kind ohne Namen” stehen erst wesentlich später im Fokus. Aus der Perspektive der Ich-Erzählerin werden die Geschehnisse im Dorf einerseits und ihr persönliches Schicksal als schwangere “Rückkehrerin”, die zu den wenigen Unterstützern der Flüchtlinge zählt, andererseits geschickt miteinander verknüpft.
Poschenrieder verzichtet in “Kind ohne Namen” auf einen experimentellen Erzählstil und bietet vielmehr einen stringenten Handlungsverlauf ohne Orts- oder Zeitenwechsel. Aufgrund der sehr originellen Story, die angelehnt ist an Jeremias Gotthelfs „Die schwarze Spinne“ und damit ein brandaktuelles Thema (Flüchtlingskrise) mit einer Art von Märchen verknüpft, ist die Stringenz der Erzählung wichtig um den Geschehnissen folgen zu können.
Hervorhebenswert ist an dieser Stelle ausdrücklich der Schreibstil des Autors. Durch originelle Metaphern und unterhaltsame Neologismen (“Handyberg”) einerseits sowie authentische Dialoge andererseits kommen Liebhaber der deutschen Sprache hier voll auf ihre Kosten.
Mein Fazit:
Das Besondere an “Kind ohne Namen” ist seine Vielfältigkeit: Poschenrieder verknüpft mehrere kritische Themen wie Flüchtlingsintegration, ungewollte Schwangerschaft, Rassismus und Liebe zwischen zwei Kulturen auf sehr unterhaltsame und intelligente Weise. Mit der nötigen Ernsthaftigkeit, aber auch einer großen Portion Leichtigkeit erschafft er einen Roman, der sich wohl am besten als märchenhafter Gesellschaftsroman mit Liebes- und Migrationshintergrund klassifizieren lässt.