|Rezension| Der letzte Liebende – Annette Mingels
Was will die Autorin mir damit sagen?
„Es war, als hätten sein Körper und sein Geist seit Längerem unterschiedliche Wege eingeschlagen und liefen nun jeder auf seiner eigenen Spur weiter, um irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, gemeinsam unterzugehen.“ (S.21)
Inhalt
Carl Kruger ist einsam. Fast sechzig Jahre war der emeritierte Chemieprofessor mit Helen verheiratet. Obwohl die Ehe schon lange zerrüttet war, trifft Helens Tod ihn bis ins Mark. Darum willigt er ein, als seine Tochter Lisa ihn zu einer Reise in die alte Heimat überredet. Doch der Besuch in Ostdeutschland und Polen verläuft anders, als der Wahlamerikaner erwartet. Konfrontiert mit einer Welt im Umbruch, stellt sich Carl die Frage: ist er, der »alte weiße Mann«, überhaupt angekommen in diesem Jahrhundert?
Mein Eindruck
Da ich erst kürzlich einen großartigen Roman über die Einsamkeit im Alter las (“Kontur eines Lebens” von Jaap Robben) – allerdings mit weiblicher Protagonistin und von einem männlichen Autor, dachte ich, ich versuche es mit “Der letzte Liebende” mal andersherum: weibliche Autorin, männlicher Protagonist. Beide Romane haben einige Parallelen: Beide Hauptfiguren stehen mit Anfang 50 nach dem Tod ihres Partners bzw. ihrer Partnerin alleine da. Beide Figuren sind nicht gerade Sympathieträger. Doch während Robben nach und nach aufgedeckt, warum Frieda so ist wie sie ist, hat Annette Mingels mit Carl Kruger einen alten weißen Mann per excellence erschaffen: egoistisch, mit wenig Empathie und stets um sich selbst kreisend.
Der Roman besteht aus drei Teilen: Im ersten Teilen geht es um seine Ehe und die Situation, dass seine Frau todkrank ist, ihn verabscheut (wofür sie ihre guten Gründe hat) und er sich selbst schrecklich leid tut, weil sie nicht netter zu ihm ist. Im zweiten Teil, nach dem Tod der Frau, reist er mit seiner Tochter Lisa und deren Sohn Collin nach Ostdeutschland und Polen – seine alte Heimat. Dort fällt ihm einmal mehr auf, dass er weder eine Beziehung zu seiner alten Heimat noch zu dem Rest seiner Familie, die dort noch lebt, hat – wieder ein Grund, sich zu bemitleiden, aber, um Gottes Willen, kein Grund sich selbst zu reflektieren bzw. vielleicht neue Wege zu gehen. Im letzten Teil des Buches gipfelt sein “alter, weißer Mann”- Gehabe bei der Lesung eines Romans, für dessen Hauptfigur er die Vorlage war, mit Fremdscham-Vibes als er sich zu Wort meldet und die Figur des Romans und damit sich und sein Leben verteidigt mit Statements wie “Was können den alte Männer dafür, wenn sich ihnen junge Frauen an den Hals werfen?” Puh!
Obwohl ich mich während der Lektüre mehrmals fragte, warum ich dieses Buch eigentlich lese, habe ich es zu Ende gelesen, denn ich wollte nicht glauben, dass dies schlicht das Porträt eines alten Mannes ist, dem nie ein schlimmer Schicksalsschlag widerfahren ist, der sich selbst aber ganz schrecklich leid tut. Bis zuletzt habe ich auf einen Plottwist gehofft, der dem Ganzen einen tieferen Sinn gibt, der die Figur vorführt, aber nein. Es ist das Schicksal eines bornierten alten Mannes, das am Ende auch noch rührselig wird. Von Veränderungswille oder Selbstreflexion fehlt bis zuletzt jede Spur. Und so stellt sich mir die Frage: Warum dieser Roman? Was will die Autorin damit sagen? Habt Verständnis für die alten, einsamen Männer, die nur einsam sind, weil sie ihr ganzes Leben lang egoistisch gehandelt haben? Oder ist das Ganze ironisch gemeint und ich checke es nicht? Und warum dieser Titel? “Der letzte Liebende” kann nur ironisch gemeint sein, wenn damit Carl Kruger gemeint sein soll.
Zum Schluss zumindest noch etwas Positives: Ich mag Annette Mingels Sprache sehr. Das Zitat oben ist ein kleiner Vorgeschmack auf ihre Art zu schreiben. Vermutlich hätte ich den Roman trotz aller Neugier auf das Ende auch nicht zu Ende gelesen, wenn er nicht so schön formulierte Sätze beinhalten würde.
Mein Fazit:
“Der letzte Liebende” ist die Geschichte eines unbelehrbaren alten, weißen Mannes: Der privilegierte, selbstverliebte und unreflektierte Protagonist sinniert über sein Leben, bedauert, dass er nun in einem Alter ist, in dem seine Jahre gezählt sind und dass ihn nicht mehr Menschen mögen. Auch wenn Annette Mingels toll schreibt, muss man diesen Roman nicht lesen. Lest lieber einen ihrer anderen Romane.