|Rezension| Die Details – Ia Genberg
Ein Roman über das, was uns ausmacht
„Und genau das ist doch unser Ich, oder das, was wir Ich nennen: Spuren der Menschen, an denen wir uns reiben.“ (S.31)
Inhalt
Eine Frau liegt mit hohem Fieber im Bett. Plötzlich verspürt sie den Drang, einen bestimmten Roman wiederzulesen. Darin: ein Gute-Besserungs-Wunsch von vor langer Zeit, geschrieben von Johanna, ihrer Ex-Freundin. Während sie das Buch durchblättert, werden Szenen aus ihrer Vergangenheit lebendig, Ereignisse und Menschen, die sie nicht vergessen kann. Johanna, inzwischen eine berühmte Fernsehmoderatorin, mit der sie einst die Literatur entdeckte. Niki, die irgendwann spurlos verschwand. Alejandro, der ein Kind mit ihr wollte, obwohl ihre Liebe nie eine Zukunft hatte. Und Brigitte, so schwer zu fassen und mit einem schmerzhaften Geheimnis. Aus den Erinnerungs- und Erlebnisfragmenten entsteht ein ganzes Leben.
Mein Eindruck
“Die Details” von Ia Genberg wurde mit dem wichtigsten schwedischen Literaturpreis ausgezeichnet. Aber das war nicht der Grund, warum ich diesen Roman gelesen habe. Vielmehr fand ich die Idee interessant, dass sich die Protagonistin im Fieberwahn an vergangene Beziehungen und deren Einfluss auf ihr Leben erinnert. Wie das Cover mit den vier zerrissenen Fotoschnipseln schon andeutet, blickt die Protagonistin auf die vier wichtigsten Beziehungen ihres Lebens zurück. Dabei sind ihre Erinnerungen nur bruchstückhaft, aber sehr detailliert. Man kennt das aus dem eigenen Gedächtnis: Unwichtiges wird ausgelöscht, an Wichtiges erinnert man sich mit beeindruckender Klarheit. Und so wundert es nicht, dass die Autorin (oder der Verlag) dieses Buch “Die Details” genannt hat.
So weit, so realistisch. Was mich allerdings gestört hat, ist die Tatsache, dass die Erinnerungen in “Die Details” einem roten Faden folgen. Das ist natürlich grundsätzlich nichts, das einen stören sollte, da es für den Lesefluss hilfreich ist. Aber in diesem Fall leidet die Authentizität des Gelesenen darunter, wenn die Protagonistin mit Fieber im Bett liegt und von Erinnerungen heimgesucht wird. Jeder, der schon mal Fieber hatte, erinnert sich sicher (im Detail) daran wie es einem dann geht. Lässt man diesen Kritikpunkt außer Acht und konzentriert sich auf die vier Beziehungen, von denen die namenlose Ich-Erzählerin berichtet, wird eines deutlich: Wir sind das Ergebnis der Beziehungen, die wir in unserem Leben eingegangen sind. Und damit meine ich nicht ausschließlich Liebesbeziehungen im klassischen Sinne, sondern auch die Beziehungen zu unseren Eltern, Freunden und Kindern. Viel wichtiger als die vier vorgestellten Menschen, ist die Wirkung, die das Interagieren mit ihnen auf die Protagonistin hat, wie sie ihr Leben und ihre Entwicklung beeinflusst haben.
Was mir ausgesprochen gut gefallen hat, ist wie selbstverständlich Ia Genberg über queere Liebe schreibt. Hier wird nichts extra betont oder aufgebauscht. Die Ich-Erzählerin liebt mal Männer und mal Frauen – letztlich spielt das Geschlecht der Menschen, mit denen sie Beziehungen eingeht, keine Rolle. Auch gefiel mir wie die Autorin Gefühle in Worte fasst. Überhaupt hat es mir ihre Art zu Schreiben angetan. Für ein Buch mit gerade einmal 144 Seiten habe ich ziemlich viele schöne Textstellen markiert, z.B. diese hier: “Kaum wünschte ich mir einen Orkan, kam ein Orkan. Ich sehnte mich danach, entführt und in etwas hineingewirbelt zu werden, und zu meinem Unglück bekam ich alles, was ich zu wollen glaubte, zu meinem Glück und Unglück wurden meine Bitten um eine heftige Liebe erhört.” (S.85)
Mein Fazit:
Ia Genberg widmet sich in ihrem Buch den „Details“, die unser Leben prägen. Dieser leise Roman lebt nicht nur von dem detaillierten Blick auf Beziehungen, der letztlich mehr die Ich-Erzählerin als ihre Partner:innen charakterisiert, sondern vor allem von seiner sensiblen und prägnanten Sprache.