|Rezension| Die schönste Version – Ruth-Maria Thomas

von | Sep 30, 2024 | 0 Kommentare

Eines der besten Bücher des Jahres!

Verlag: Rowohlt
Gebundene Ausgabe: 24,00 Euro
Ebook: 19,99 Euro
Erscheinungsdatum: 16.07.2024
Seiten: 272

„Und er schien stolz, so furchtbar stolz auf uns zu sein. Und wenn er mich doch so offensichtlich so gut fand, dann musste da ja irgendwas dran sein. Und dass ich ihm glaubte und mich dadurch selbst irgendwie toll fand, heiß, schlau, lustig: Das machte Dinge mit mir.“ (S.157)

Inhalt

Die späten Nullerjahre, frühen 2010er Jahre in einer ostdeutschen Kleinstadt: Die schönste Version erzählt die Geschichte von Jella und Yannick, von der ersten großen Liebe, die alles richtig machen will. Bis es kippt. Wieder zurück in ihrem Kinderzimmer fragt Jella sich, wie es so weit kommen konnte. Sie schaut noch einmal genauer hin: auf ihr Aufwachsen in der Lausitz. Kleinstadt und Kiesgruben, Gangsterrap und Glitzerlipgloss. Auf Freundinnen, die sie durch so vieles trugen. Und auf den Moment, in dem Yannicks Hände sich um ihren Hals schlossen.

Die schönste Version ist die Geschichte eines Erwachens, Erkennens, Anklagens, eine große Introspektion: Ruth-Maria Thomas schreibt über das Frauwerden, Frausein, von Körpern, Begierden und tiefen Abgründen. Mit stilistischer Brillanz, großer Leichtigkeit und Drastik erzählt Ruth-Maria Thomas in ihrem funkelnden Debütroman von den schönsten Dingen. Und den schrecklichsten.

Mein Eindruck

In “Die schönste Version” gelingt es Ruth-Maria Thomas meisterhaft, das Psychogramm einer jungen Frau zu zeichnen, die aus einer toxischen Beziehung flieht. Der Roman ist weit mehr als nur das Porträt einer misshandelten Frau – er geht tiefer, seziert die Dynamiken einer auf den ersten Blick perfekten Beziehung zwischen Jella und Yannick. Yannick erscheint als der rettende Prinz, nachdem Jella bereits viele negative Erfahrungen mit Männern gemacht hat. Doch diese Fassade bröckelt schnell, und Thomas zeigt eindrucksvoll die Gewalt und Manipulation, die hinter dieser scheinbaren Perfektion lauern.

Die Erzählung beginnt mit einer Schlüsselszene, in der Jella von ihrem Freund im Streit gewürgt wird und Todesangst hat. Dieser beklemmende Moment ist der Ausgangspunkt, von dem aus sich der Roman entfaltet. Schoch unterbricht die Handlung immer wieder mit Rückblenden in Jellas Kindheit und Jugend, was eine tieferes Verständnis für Jellas Verhalten in der Gegenwart schafft. Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie die ambivalenten Gefühle  Jellas im Umgang mit der erlebten Gewalt dargestellt wird. Die Frage, wo die Grenze zwischen gesunder Beziehung und toxischer Dynamik verläuft, wird offen und klug behandelt – wer bestimmt, was noch normal und was bereits gefährlich ist?

Thomas findet für diese Empfindungen Worte, die man selbst vielleicht nie gefunden hätte, und genau diese brutale Ehrlichkeit macht den Roman so stark. Nichts wird beschönigt oder abgemildert. Gerade bei einem Thema wie Gewalt in der Beziehung wäre dies unangebracht. Der klare, ungeschönte Stil ist ein großes Plus des Buches – verschnörkelte Metaphern oder vage Umschreibungen hätten die Intensität und Dringlichkeit der Geschichte nur verwässert.

Auch die Beschreibung der Kleinstadt, in der Jella aufwächst, ist beeindruckend. Thomas fängt die Stimmung in einer ostdeutschen Stadt der 2000er-Jahre scheinbar mühelos ein. Für mich, die selbst in einer ähnlichen Umgebung aufgewachsen ist, war diese Darstellung erschreckend real und vertraut. Die Beziehung zwischen Jella und ihren Eltern – der Mutter, die vor der Trostlosigkeit der Stadt flieht, und dem Vater, der zwar bemüht, aber oft überfordert wirkt – fand ich ebenso spannend. Jella übernimmt fast eine Elternrolle für ihren Vater, was ihrem inneren Konflikt eine weitere, tragische Dimension verleiht.

Dieser Roman hilft, besser zu verstehen, was es bedeutet, als Frau in der heutigen Zeit aufzuwachsen – was uns geprägt hat und was sich ändern muss. Ich würde gerne wissen, wie Männer dieses Buch lesen. Öffnet es ihnen die Augen für das Heranwachsen von Mädchen und das Frausein in unserer Gesellschaft?

Mein Fazit:

“Die schönste Version” ist ein eindringlicher, unverblümter Roman, der sich traut, die hässlichen Wahrheiten hinter vermeintlich perfekten Beziehungen zu entlarven. Ruth-Maria Schoch zeichnet ein schonungsloses Bild von Gewalt, Manipulation und der inneren Zerrissenheit ihrer Protagonistin. Dabei lässt sie keine Zweifel daran, wie tiefgreifend solche Erlebnisse das Leben und die Identität einer Frau prägen. Ein kraftvoller Roman, der weit über seine eigentliche Geschichte hinausgeht und uns lehrt, bewusster auf die Dynamiken von Beziehungen und die Herausforderungen des Frauseins zu blicken.

 
Vielen Dank an den Rowohlt Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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