|Rezension| Die Wahrheit über das Lügen – Benedict Wells

von | Okt 1, 2018 | 0 Kommentare

Das Problem mit den großen Erwartungen…

Verlag: Diogenes
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Erscheinungsdatum: 29.08.2018
Seiten: 256

„Sein Vater konnte eloquent über Kunst, Politik oder auch simplen Tratsch reden und gab dabei jedem Zuhörer das Gefühl, sich nur an ihn zu wenden. In Wahrheit aber war es der immer gleiche belanglose Gesprächsteppich, den er für Arbeitskollegen ebenso ausrollte wie für seinen Sohn.“ (S.223)

Worum geht´s?

Es geht um alles oder nichts in diesen Geschichten. Sie handeln vom Unglück, frei zu sein, und von einer Frau, die vor eine existenzielle Entscheidung gestellt wird. Von einem Ort, an dem keiner freiwillig ist und der dennoch zur Heimat wird. Von einem erfolglosen Drehbuchautor der Gegenwart, der in das New Hollywood des Jahres 1973 katapultiert wird und nun vier Jahre Zeit hat, die berühmteste Filmidee des 20. Jahrhunderts zu stehlen. Und nicht zuletzt eine Erzählung aus dem Universum von ›Vom Ende der Einsamkeit‹, die Licht auf ein dunkles Familiengeheimnis wirft. Zehn höchst unterschiedliche Geschichten aus einer Welt, in der Lügen, Träume und Wahrheit ineinanderfließen. Mal berührend, mal komisch, überraschend und oft unvergesslich.

(Quelle: https://www.diogenes.ch/leser/titel/benedict-wells/die-wahrheit-ueber-das-luegen-9783257070309.html)

Mein Eindruck

Nachdem mich Benedict Wells “Vom Ende der Einsamkeit”, das ich ohne große Erwartungen las, förmlich umgehauen hat und das seither eines meiner absoluten Lieblingsbücher ist, habe ich voller Vorfreude auf sein neuestes Werk gewartet. Dass man eine Sammlung kurzer Geschichten nicht mit einem Roman vergleichen kann, war mir von Anfang an klar, aber trotzdem ließen sich die großen Erwartungen nicht unterdrücken.

Ich las also die erste Geschichte und dachte danach “Hm, okay. Ganz nett, aber haut mich nicht um. Les ich mal die nächste.” Nach der zweiten überkam mich ein ungutes Gefühl. Konnte es wirklich sein, dass hier der worst case eintritt und mir dieses Buch von Benedict Wells nicht gefällt? Ich musste das Buch dann erst einmal zur Seite legen und etwas anderes lesen, weil ich so große Angst vor einer Enttäuschung hatte. Dann mehrten sich im Netz die positiven Stimmen zu “Die Wahrheit über das Lügen” und ich wagte einen neuen Versuch. Es ist ja schließlich ganz normal, dass einen bei einer Kurzgeschichtensammlung (wobei bei diesem Band der Begriff “Kurzgeschichten” scheinbar absichtlich nicht verwendet wird) nicht alle Geschichten gleichermaßen ansprechen.

Ich will es gleich vorwegnehmen: Es gab unter diesen zehn Geschichten durchaus welche, die mir sehr gut gefallen haben, so z.B. “Die Nacht der Bücher”, “Die Fliege” und “Hunderttausend”. Andere Geschichten wie “Das Franchise” sind sehr originell und genial konstruiert, aber waren mir thematisch so fremd, dass ein Hineinfühlen schwer fiel. Wieder andere (z.B. “Die Wanderung” und “Die Muse” waren leicht übersinnlich bzw. mystisch angehaucht, womit ich generell so gar nichts anfangen kann. Manche Geschichten sind humorvoll, andere traurig, wieder andere nostalgisch schön. Diese Vielfalt ist beeindruckend, macht es aber natürlich auch schwer, Leser zu finden, denen ausnahmslos alle Geschichten gefallen.

Dass Benedict Wells schreiben kann, steht außer Frage. Auch in dieser Sammlung sehr verschiedener Geschichten finden sich einzelne Sätze oder Passagen, die sprachlich herausragend sind, über die man länger nachdenkt und die nachwirken. Aber sie sind selten. Während meine Ausgabe von “Vom Ende der Einsamkeit” voller Post its ist, habe ich in diesem Buch gerade einmal vier Textstellen markiert. Und so bleibt nach dem Beenden der Lektüre ein fader Beigeschmack, ein leichtes Gefühl von Enttäuschung, an dem mit Sicherheit auch meine hohen Erwartungen Schuld sind und die Tatsache, dass Kurzgeschichten schwer mit einem Roman mithalten können.

Mein Fazit:

“Die Wahrheit über das Lügen” ist eine Sammlung ganz unterschiedlicher Geschichten, sowohl thematisch als auch was den Umfang betrifft. Diese Vielfalt macht es schwer, sie alle gleichermaßen zu mögen. Ich fand leider nur wenige der zehn Geschichten so richtig gut, bei den anderen wollte der Funke vor allem aufgrund der übersinnlichen Note einfach nicht überspringen. Ich bin trotzdem noch ein Wells-Fangirl und freue mich jetzt einfach auf den nächsten Roman, bei dem ich dann versuche, nicht allzu hohe Erwartungen zu haben.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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